Foto: rbb Inforadio/Gabriele Heuser

Nahaufnahme vom 19.06.2013 - Sekundarschule - Das verflixte 9. Schuljahr ist vorbei

Seit der Einführung der Sekundarschule vor drei Jahren begleitet Inforadio den ersten Jahrgang der neuen Schulform in der Röntgenschule Neukölln auf ihrem Weg zum Mittleren Schulabschluss im kommenden Sommer. Wo werden Stärken und Schwächen der Reform sichtbar?

Die Sommerferien sind da: in Brandenburg gibt es heute Zeugnisse, in Berlin gab es die schon gestern. So auch für die Schülerinnen und Schüler der 9 d der Röntgenschule in Neukölln. Seit der Einführung der Sekundarschule vor 3 Jahren begleiten wir sie, diesen ersten Jahrgang der neuen Schulform, auf ihrem Weg zum Mittleren Schulabschluss im kommenden Sommer. Der hat längst seine Schatten vorausgeworfen, denn jetzt mit dem Ende des vorletzten Schuljahres müssen schon wichtige Weichen gestellt werden.

Gabriele Heuser hat bei Schülern und Lehrern wieder einmal nachgefragt, wo Stärken und Schwächen der Reform sichtbar werden.

Die Zeugnisse sind durchwachsen

Große Überraschungen hat es nicht gegeben zum Abschluss der 9d berichtet Klassenlehrer Detlef Bachmann. Wie immer hat er die Zeugnisse geschrieben. Die Ergebnisse sind durchwachsen, meint er: "Wir haben ein paar Überflieger, die das Leistungsniveau haben, um MSA zu machen. Wir haben aber auch eine große Bandbreite, die die Berufsbildungsreife schaffen wird."

Einen kleinen Vorgeschmack auf die MSA-Prüfung am Ende der 10. Klasse, den mittleren Schulabschluss, haben die Schüler ja schon im April bekommen. Zum ersten Mal mussten die Sekundarschüler in diesem Jahr eine schriftliche Prüfung zur Berufsbildungsreife ablegen, die dem ehemaligen einfachen Hauptschulabschluss entspricht. Bis auf drei haben die in der 9d auch alle geschafft, erzählen die Lehrer am Ende des Schuljahres, aber manche doch nur sehr knapp, sagt die frühere Hauptschullehrerin Gabriela Lehnen: "In Deutsch waren wir alle zufrieden - Mathe war eine mittlere Katastrophe: fast alle in meiner Klasse haben mit der Note 5 oder 4 abgeschlossen. Und das ist ein mieses Ergebnis."

Das findet auch ihr Kollege Detlef Bachmann, der ehemalige Realschullehrer. Obwohl die Schulreform von vielen als Erfolg gewertet wird, erinnert er sich doch an bessere Zeiten ...:

"Die wirklich leistungsfähigen Schüler, die wir früher an den Realschulen hatten, sind jetzt überwiegend an den Gymnasien. Es findet so eine Hauptschulisierung der Realschule statt."

In anderen Bezirken mag das nicht so sein, räumt Detlef Bachmann ein, aber zumindest für Neukölln und die Röntgenschule treffe das zu. Und so kommt auch Gabriela Lehnen zu dem Schluss:

"Die Gymnasialempfehlung werden nur zwei - maximal drei - meiner Schülerinnen und Schüler erreichen. Ich hoffe, dass den MSA die Hälfte schaffen wird."

Damit sie das schaffen, wird es im kommenden Schuljahr an der Röntgenschule noch mehr leistungsdifferenzierten Unterricht in den Hauptfächern Mathe, Deutsch und Englisch geben, erklärt Gabriela Lehnen, die inzwischen auch als Mittelstufenkoordinatorin in der Schule arbeitet:

"Für vier Klassen haben wir sechs Gruppen, aber vier unterschiedliche Kurse, und zwar einen Gymnasialkurs für die besonders guten Schüler, den MSA-Kurs, den EBBR-Kurs für die erweiterte Berufsbildungsreife und für die etwas schwächeren Schüler den BBR-Kurs."

Die berufliche Zukunft rückt näher

Der Klassenverband wird also in den genannten Fächern aufgelöst und jeder Schüler, jeder Schülerin geht in die Gruppe, die dem erwarteten Abschlussniveau entspricht. Das bedeutet viel organisatorisches Geschick, denn der Stundenplan der vier 10. Klassen muss genau aufeinander abgestimmt sein, damit in den übrigen Stunden alle wieder in ihre ursprüngliche Klasse zurück können. Das ist die eine wichtige Erkenntnis am Ende der 9. Klasse. Die andere, so Gabriela Lehnen, ist genauso wichtig: nun wird es konkreter mit der Berufswahl, denn viele Betriebe starten ihre Bewerbungsverfahren für das Ausbildungsjahr 2014/2015 bereits im September.
Deshalb hat Gabriela Lehnen damit begonnen, die Eltern ihrer Klasse zum Einzelgespräch über die berufliche Zukunft der Schülerinnen und Schüler einzuladen:

"Ich will hier die Eltern noch mehr ins Boot holen, denn die Eltern müssen meiner Ansicht nach ihre Kinder noch mehr unterstützen."

Das ist zwar sehr aufwändig, aber dringend nötig, sagt sie, denn viele Eltern haben keine Ahnung, dass sie gemeinsam mit ihrem Kind schon jetzt aktiv werden müssen. Die meisten glauben, es sei noch ein Schuljahr Zeit. Um das auch den Jugendlichen selbst klar zu machen, haben Detlef Bachmann und Gabriela Lehnen in den letzten Schultagen vor den großen Ferien mit ihnen einen Ausflug auf die Berufemesse Vocatium gemacht.

Es ist voll in den Messehallen am Gleisdreieck. Über 160 Betriebe, Fach- und Hochschulen stellten ihre Ausbildungs- und Studienangebote vor und zeigten viele Berufsbilder auch "zum Anfassen". Die Schülerinnen und Schüler der 9d hatten versucht, vorher Termine zu machen bei den Firmen, die für sie in die engere Wahl kommen. Doch nicht immer hat das auch geklappt.

Yunus, zum Beispiel, interessiert sich für eine Karriere bei der Polizei. Am liebsten will er zur Berliner Polizei, aber dort gab es keinen Termin mehr für ihn. Anders am Stand der Bundespolizei, hier kann er sich ausführlich beraten lassen. Vor allem beschäftigt den jungen Mann die Frage, mit welcher Laufbahnebene er wohl einsteigen sollte:

"Ich habe mit meiner Berufsberaterin gesprochen, die gesagt hat, dass für den gehobenen Dienst auch eine Fachhochschule reichen, deren Abschluss einfacher als das Abitur sei. Ich würde dann eher diesen Weg gehen (...)"

Nach dem Gespräch ist Yunus um einiges schlauer, aber seine Zweifel bleiben, ob das Aufgabenfeld der Bundespolizei zu ihm passt:

"Ich werde wohl zur Landespolizei gehen, weil die Bundespolizei eher nicht mein Fall ist."

Vielleicht klappt es da dann doch noch mit einem Praktikum zum Ende der Sommerferien, hofft er, denn auch bei der Bewerbung um ein Schülerpraktikum hatte er bei der Berliner Polizei kein Glück, weil es pro Schule höchstens eine Stelle dafür gibt.

Die Zeit drängt

Auch Mahmoud und Chahira waren ganz zufrieden mit den Erkenntnissen, die sie auf der Messe gewonnen haben. Chahira bleibt bei dem Berufswunsch Pharmazeutisch-Technische Assistentin, Mahmoud, der sein Betriebspraktikum noch als Fliesen und Mosaikleger gemacht hatte, will nun doch lieber in den Gesundheitsbereich umschwenken:

"Ich fand die Messe ganz interessant - es gab viele Berufe, die mir gefallen, wie Rettungsassistent, Physiotherapeut oder Rettungssanitäter. Ich sollte mich aber jetzt schon bewerben für eine Ausbildung."

So gerüstet müssten nun alle wissen, was bald auf sie zukommt. Mit dem Interesse, das die Klasse an der Berufemesse gezeigt hat, waren die Lehrer sehr zufrieden, selbst im Vergleich zur früheren Realschule war das in der neuen Mischung größer. Troztdem bliebt Detlef Bachmann bis zum Schluss skeptisch, ob denn alle den Ernst der Lage wirklich schon erkannt haben:

"Die eine oder andere Überraschung wird es schon noch geben, weil die Schüler häufig nicht zuhören, wenn der alte Sack da vorne in der Klasse was erzählt. Aber im Großen und Ganzen wissen sie, wo es lang geht. Sie werden die Zeugnisse bekommen und dann sehen, wo sie noch etwas Energie reinstecken müssen. Wir schauen einfach mal."

Und wir schaun mit ...Fortsetzung folgt.