Matheunterricht in der Sekundarschule, Lehrer Bachmann und Schüler des Grundkurses Mathematik 10. Klasse (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)

Nahaufnahme vom 27.09.2013 - Mit ihnen ist schwer zu rechnen

Besonders schwer tun sich manche Sekundarschüler mit dem Fach Mathe. Gabriele Heuser hat im Rahmen des Inforadio-Langzeitprojekts eine Mathestunde in der 10. Klasse der Röntgenschule Neukölln mitgemacht.

"Inforadio geht in die Schule", so heißt unser Projekt seit der Einführung der Sekundarschule in Berlin im Sommer 2010. Der erste Jahrgang ist inzwischen in der zehnten und letzten Klasse dieses neuen Schultyps. Gabriele Heuser hat deswegen in regelmäßigen Abständen aus der 10d der Röntgenschule in Neukölln berichtet.

Ein besonderes Hindernis auf dem Weg zum Mittleren Schulabschluss ist für viele das Hauptfach Mathematik: Gabriele Heuser hat in der 10d eine Mathestunde mitgemacht.

Inzwischen sind sie in der 10. Klasse, aber im Grundkurs Mathe von Herrn Bachmann klingt es zu Beginn der Stunde noch wie in der 7. Der Lehrer hat es nach wie vor nicht leicht, die Aufmerksamkeit seiner Schülerinnen und Schüler auf den Unterrichtsstoff zu lenken. Dabei geht es jetzt um alles, nämlich um die Vorbereitung der Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss.

Mathelehrer Detlef Bachman:
"Ich möchte gern anfangen. Guten Morgen... Was haben wir letzte Stunde gemacht?"

Mühsam müssen die Grundlagen aus der letzten Stunde wiederholt werden, bevor es Beispiele gibt, die jeder für sich ausrechnen soll.

Matheunterricht in der Sekundarschule (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)
Die Schüler folgen dem Matheunterricht nicht wirklich

Es wird gealbert und gestört

Für den Arbeitsauftrag scheint sich hier kaum jemand zu interessieren. Die Privatgespräche gehen ungebremst weiter.

Während Lehrer Detlef Bachmann einzelnen Schülern die Aufgabenstellung noch einmal erklären muss und Lösungswege vorschlägt, zeigt sich der Rest unbeeindruckt.

Noch nicht einmal die Aufgaben werden vom Whiteboard abgeschrieben. Kaum einer, der hier sitzt, beschäftigt sich mit der Mathematik, die meisten quatschen irgendetwas anderes.

Nur wenige wissen, wie die Aufgaben zu lösen sind.

Bis zum Ende der Doppelstunde tut sich nicht mehr viel, während Mathelehrer Bachmann sich bemüht, Fragen von einzelnen Schülern zu beantworten, machen andere Faxen.

Matheunterricht in der Sekundarschule (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)
Lehrer Bachmann im Grundkurs Mathe

Auch Lehrer sind gefrustet

Als die Stunde schließlich zu Ende ist, sind nicht nur die Schüler froh. Auch Detlef Bachmann hat es mal wieder überstanden, irgendwie sagt er.

Mathelehrer Detlef Bachmann:
"Das ist das, was wir tagtäglich von unseren Schülern geboten kriegen. Man gewöhnt sich daran, auch wenn man sich gar nicht daran gewöhnen möchte. Das ist die Situation mit der man versuchen muss umzugehen, dass man weitestgehend auf Desinteresse stößt, auf Störer."

Daran hat sich seit der 7. Klasse nichts geändert, stellt Bachman resigniert fest. Viele im Lehrerkollegium erleben das ähnlich, besonders diejenigen, die wie er vorher an einer Realschule unterrichtet haben.

Lehrer Bachmann:
"Natürlich hat jeder seine eigene Sichtweise, aber im Großen und Ganzen ist der Frust, über das, was man hier macht, schon weit verbreitet. Es ist nicht so, dass die Kollegen unmotiviert zur Arbeit kommen. Weiß Gott wirklich nicht. Man hört eben häufig: 'Das haben sie wieder nicht gemacht. Das konnten sie wieder nicht.' Obwohl man das x-mal durchgenommen hat, es durchgegangen ist. Kommen Sie doch jetzt nicht mit Bruchrechnung an. Um Gotteswillen, das ist doch so lange her. Wie soll ich das jetzt noch wissen? Das habe ich mal in der 7. Klasse gemacht. Es wird überhaupt nicht daran gearbeitet, dass man es behält. Es ist vorbei, ist weg."

Taube Ohren

Daran, dass nicht genug wiederholt oder geübt wird, um den Lernstoff zu festigen, liegt es seiner Meinung nach nicht, dass die Schüler so wenig im Kopf behalten.

Lehrer Bachmann:
"Man versucht schon Redundanz zu erzeugen, aber wenn das auf taube Ohren stößt, dann kann man da vorne den Hampelmann machen, oder ein didaktisches Feuerwerk abbrennen. Was nicht wahrgenommen werden will, wird schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen. Wir servieren Bildung auf dem Silbertablett. Die Schüler müssen Bildung eigentlich nur runternehmen, aber sie tun es nicht, weil es nicht interessant ist."

Mathelehrer Bachmann vor der Tafel (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)
Lehrer Bachmann vor dem Whiteboard

Auch ein didaktisches Feuerwerk zündet nicht

Ob es denn vielleicht an der Art und Weise liegt, wie der Unterricht gemacht wird, frage ich ihn. Könnte es nicht sein, dass ein Lehrer wie er sich noch einmal mit neuen didaktischen Überlegungen und Erkenntnissen auseinandersetzen und gerade im Mathematikunterrricht anders auf die Schüler zugehen müsste, um sie bei der Stange zu halten und ihr Interesse am Stoff wachzuhalten?

Lehrer Bachmann:
"Natürlich überlegt man, überprüft man auch seine Methodik und überlegt, was kann ich anders machen? Ich habe ja vorhin schon gesagt, wir können ein didaktisches Feuerwerk abbrennen, wir können Computer benutzen. Wir können diverse Dinge anders machen, letztendlich haben wir das schon alles versucht. Aber der Erfolg ist ausgesprochen gering gewesen. Ich will nicht sagen, gleich Null. Es gibt ja auch einige, die mitarbeiten und etwas lernen. Aber bei vielen ist es so, sie können reden und reden und reden und es passiert nichts. Ich tue, was ich kann und mehr kann ich nicht und dann ist gut."

Eine mathematische Formel an der Tafel (Bild: G. Heuser, rbb-Inforadio)
Mathe stellt viele vor Rätsel

An Mathe scheitern viele Schüler

Berlinweit ist jeder dritte bis vierte Neuntklässler einer Sekundarschule an der Berufsbildungsreifeprüfung im Frühjahr in Mathematik gescheitert. Das war auch für die Senatsbildungsverwaltung ein Warnsignal, denn das heißt: Die Anforderungen des früheren Hauptschulabschlusses haben diese Schüler nicht erfüllt. Doch trotz des bekanntermaßen schwierigen Einzugsgebiets der Schule haben es an der Röntgenschule jetzt mehr geschafft als früher an seiner der Hauptschule, sagt Schulleiter Detlef Pawollek.

Schulleiter Pawollek:
"Wir hatten in der Vergangenheit schon schlechte Ergebnisse in Mathematik, so dass wir im Zuge der Berufsbildungsreife nun vorher fast feuchte Finger hatten und dachten 'Na, mal sehen, wie die Ergebnisse ausfallen'. Für unsere Verhältnisse lagen wir ein Stück drüber. Wir können nicht zufrieden sein mit den Ergebnissen, keine Frage, aber wir waren schon unheimlich stolz, den Kopf aus dem Wasser zu strecken und dass ein entsprechend großer Anteil an Schülern die Berufsbildungsreife erreicht hat."

Langsam geht es aufwärts

Fast zwei Drittel der Schüler haben die Berufsbildungsreife geschafft. Angesichts dieser Zahlen hat der Schulleiter das Angebot der Senatsverwaltung gerne angenommen und Hilfe bei "Mathecoaches" gesucht. Die haben die Prüfungsergebnisse genau analysiert und Schwachstellen identifiziert.

Dieser Blick von außen hat sich sehr gelohnt, es gab wertvolle Hinweise und Anregungen für seine Lehrerkollegen, meint Schulleiter Pawollek:
"Erstens, ist das toll, weil die Kollegen mit 26 Stunden Unterricht und allem, was dazu gehört, natürlich nicht die Zeit haben, sich mit den Arbeiten so ausgiebig zu beschäftigen. Zum anderen haben sie auch nicht das Werkzeug, diese Arbeiten so zu interpretieren, dass man am Ende auch noch ein Ergebnis hat. Also, gesagt, getan. Die Coaches haben das gemacht. (...) Es war auch für die Kollegen erhellend, weil Ergbenisse zu Tage traten, die sie so gar nicht erwartet haben."

Ein Ergebnis war zum Beispiel, dass viele Schülerinnen und Schüler an der Sprache der Textaufgaben gescheitert sind, also gar nicht verstanden haben, was die Aufgabenstellung war. Für die Mathelehrer an der Röntgenschule heißt das in Zukunft: Sachaufgaben möglichst in einfacheren Worten zu stellen, das ist eine Erkenntnis, die Detlef Bachmann durch die Mathecoaches gewonnen hat. Aber zaubern konnten die auch nicht, meint er:

Mathelehrer Bachmann:
"Die kochen auch nur mit Wasser, genauso wie wir hier. Die "Mathecoaches" können aufzeigen, wo gab und gibt es Probleme. Sie machen zahlreiche Angebote. Wir haben demnächst die Fortbildung "Mit der Sprache musst du rechnen" - dann kommen sie hierher. Das finden wir wichtig und interessant. So etwas, oder Schüler aktivierender Unterricht, dass wir Domino spielen, dass sich jeder mal bewegt, mal drankommt. Ich denke, es fehlt uns ein bisschen die Mischung."

Fortsetzung folgt

Dabei sollte diese Mischung von stärkeren und schwächeren Schülern doch eigentlich an der Sekundarschule vorhanden sein, durch die Zusammenlegungen von Haupt- und Realschule. Doch offenbar geht die Idee so nicht auf. Um die besseren Schüler ihrem Leistungsniveau entsprechend unterrichten zu können, gibt es seit der 9. Klasse den Erweiterten Kurs auf höherem Niveau für sie. Und in den Grundkursen sitzen die übrigen dann wieder unter sich.

Mathelehrer Bachmann:
"Ich bin der Überzeugung, dass der Bildungswille unserer Klientel weitestgehend verloren gegangen ist. Die Schüler, die wir früher an der Realschule hatten, die haben wir hier praktisch nicht mehr. Die versuchen gleich ans Gymnasium zu gehen und versuchen dort ihren Weg zu machen. Wir haben in der Regel den Rest hier. Man kann es weit formulieren und sagen die ISS ist die Restschule geworden und ich denke die Praxis zeigt es weitestgehend so."

Das gilt sicher nicht für alle Sekundarschulen in Berlin, besonders die mit eigener gymnasialer Oberstufe haben da noch bessere Voraussetzungen. Wie es an der Röntgenschule weitergeht, werden wir sehen. Fortsetzung folgt.