Lehrer Bachmann mit einer Gruppe von Schülern vor der Schule - Foto: rbb Inforadio/Gabriele Heuser

Nahaufnahme vom 15.06.2012 - Sekundarschule - Es geht nicht mehr drunter und drüber

Gabriele Heuser hat vor den großen Ferien noch einmal nachgesehen, was sich dort zur Halbzeit der Sekundarschule tut. Und festgestellt, dass alle froh über die gute Mischung sind.

Hat es sich bewährt, in Berlin Haupt- und Realschulen abzuschaffen und beide gemeinsam unter dem Dach der "Sekundarschule" zusammmenzufassen? Zur Einführung des neuen Schultyps haben wir die 7d der Röntgenschule in Neukölln ein Jahr lang regelmäßig besucht, um zu erfahren, wie Schüler, Lehrer und Eltern die große Schulreform erleben. Jetzt sind zwei Schuljahre geschafft und unsere Reporterin Gabriele Heuser hat vor den großen Ferien noch einmal nachgesehen, was sich dort zur Halbzeit der Sekundarschule tut.

Großes Begrüßungs-Hallo am Morgen zur ersten Stunde. Anders als zu Anfang der Sekundarschule geht es nicht mehr drunter und drüber zu Unterrichtsbeginn, sondern bereitwillig rücken die 8-Klässler Bänke und Stühle zur Seite, um sich in einen großen Kreis zu setzen. Das Schuljahr ist fast zu Ende, die Zeugnisnoten stehen fest. Zeit für die Klassenlehrerin wieder einmal Bilanz zu ziehen.

Frau Lehnen: … wir machen jetzt erst mal eine allgemeine Runde, wie das so war im 8. Jahrgang.

Gabriela Lehnen will wissen, was ihre Schüler bewegt. Reih um fragt sie nach, ob sie mit dem Unterricht zurechtkommen, ob es genug Unterstützung von den Lehrern gibt. Die meisten in der Runde sind zufrieden. Aber einige sagen auch ganz ehrlich, dass sie zum Beispiel in Französisch unglücklich sind, in Mathe nicht genug erklärt bekommen oder dass sie sauer sind, weil immer die Gleichen vorne sitzen.

Gabriela Lehnen

"Ich finde es wunderbar, dass solche Menschen (die zuhören) vor mir sitzen. Die nicken auch schon einmal zustimmend mit dem Kopf .."

Schülerin fragt nach Biologie

Gabriela Lehnen:
"… jetzt driftet es wieder ab. Aber ganz kurz die Information: In Zukunft habt Ihr Biologie wieder, zweistündig, zwei Stunden Chemie und zwei Stunden Physik …"
Schüler:
Oh nee, … weil wir heißen "Röntgen".

Gabriela Lehnen, die frühere Hauptschullehrerin, ist nach wie vor froh über die neue Mischung in der Klasse, denn das Lernklima sei jetzt viel besser als früher, erzählt sie.

Gabriela Lehnen:
"
Grundsätzlich denke ich, dass sich dieser Zusammenschluss von Haupt-und Realschule sehr bewährt hat. Wenn der Lärmpegel den einen zu hoch wir, dann sprechen sie auch direkt die Schüler an und sagen: “Ey, jetzt halt’ mal bitte deine Klappe, ich möchte lernen."

Von der Hauptschule kannte sie das so nicht. Auch der Ton hat sich verbessert, darüber freut sich die Lehrerin sehr.

Gabriela Lehnen:
"Diese Ausdrücke, ich will jetzt hier keine nennen, wir sagen immer "Gülle, Gülle, Gülle"…dass das vollkommen weg ist! Und das ist auch flächendeckend, wenn man in anderen 8. Klassen nachfragt. Was jetzt die Leistung angeht, da hoffe ich, dass ich ihnen einigermaßen gerecht geworden bin."

Ihre kleine Umfrage am morgen scheint das zu bestätigen, keiner fühlte sich vernachlässigt. Trotzdem ist die Leistungsspanne in der Klasse oft zu groß, meint ihr Kollege, der ehemalige Realschullehrer Detlef Bachmann.

Detlef Bachmann

"Wir geben ja jetzt auch zwei Schülerinnen ab, die sich weiter im Praxisklassenmodell versuchen werden, um dort zu ihrer Berufs-Bildungs-Reife zu kommen, weil die würden hier nicht mitkommen, sind eben auch nach diesen zwei Jahren relativ Schul-müde und wollen eben nicht mehr so richtig. Und wir hoffen, dass sie da dann eben ihren Neustart machen können, um da dann entsprechend auch zu ihrer Berufsbefähigung zu kommen."

Die Praxisklasse ist ein bewährtes Überbleibsel aus Hauptschulzeiten. Drei Tage in der Woche wird praktisch gearbeitet, an den restlichen 2 gibt es Unterricht nur in den Hauptfächern. Was das Leistungsniveau der meisten anderen in der 8d angeht, da ist Detlef Bachmann ernüchtert. Sogar das Niveau in den Kursen der besseren Schüler ist nicht das, was die Realschullehrer früher gewohnt waren, meint er.

Detlef Bachmann

"Das ist insgesamt niedriger, das muss man einfach anerkennen. Es gibt halt Stimmen der ehemaligen Realschullehrer, die einfach sagen: es ist nicht die Hauptschule abgeschafft worden, sondern die Realschule ist abgeschafft."

Die vergleichsweise schwachen Leistungen der Schüler haben auch Schulleiter Detlef Pawollek überrascht. Wenn man die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten in der 8. Klasse zu Grunde legt, erläutert er, dann würden derzeit nur 10 bis 15 % des Jahrgangs den Mittleren Schulabschluss (MSA) auf Anhieb schaffen. 33 % liegen auf dem Niveau des früheren Hauptschulabschlusses und der große Rest sei schwer einzuschätzen. Für den Schulleiter heißt das ganz klar:

Schulleiter Pawollek

"Der Prozentsatz an Schülern, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit die Empfehlung für die gymnasiale Oberstufe bekommen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt gering. Somit müssen wir natürlich das Hauptaugenmerk darauf legen, dass wir sagen, der mittlere Schulabschluss ist eigentlich das, was wir als höchsten Bildungsabschluss den meisten Schülern unserer Schule vergeben werden und dementsprechend richten wir uns auch aus."

Praktisch bedeutet das zum Beispiel: wer in der 7. Klasse an der Röntgenschule keine zweite Fremdsprache gewählt hat, was Voraussetzung für das Abitur ist, der wird Schwierigkeiten beim Übergang in die Oberstufe bekommen. Denn h i e r besteht die Möglichkeit nicht, dies in der 9. Klasse nachzuholen. An anderen Sekundarschulen dagegen schon.

Schulleiter Pawollek

"Unser Schwerpunkt wird im Grunde darin liegen, dass wir durch zusätzliche Angebote in den Hauptfächern die Schüler jetzt schon auf diesen MSA vorbereiten und dass wir darüber hinaus eben auch die duale Bildung für alle in einem so großen Umfang anbieten, dass wir das Interesse der Schüler wecken, in qualifizierte Ausbildungsverhältnisse übernommen zu werden."

Der Kontakt zur Berufswelt in diesem dualen System hat für die Schüler bereits jetzt begonnen. Zwei Stunden pro Woche konnten sie im Rahmen eines Praktikums schon mal an einem Arbeitsplatz verbringen. Das Angebot war freiwillig, und nicht alle haben mitgemacht. Aber zum Abschluss des Workshops präsentierten die Teilnehmer vor der ganzen Klasse, was sie gelernt haben. Auch einige Eltern sind gekommen. Etwas verlegen stehen Chahira, Rosa, Orkan, Zara und Mussa vor ihnen. Die 5 haben zur Illustration ein selbst erstelltes Plakat mitgebracht, mit Fotos und aufgeklebten Worterklärungen. Unter die Überschrift "Altenheim" hat Orkan in der Mitte ein großes, glänzendes Herz gemalt.

Drei Schüler nacheinander: Wir haben ein Schnupperpraktikum im Altenheim gemacht und wir möchten euch etwas darüber erzählen, was wir dort alles gemacht haben. Also, als wir dahingekommen sind, wir haben uns alle zusammengesetzt und die ältern Leute haben uns erzählt, was sie in deren Vergangenheit gemacht haben. Wir konnten uns aussuchen, in welches Altenheim wir gehen und dann haben wir dort zum Beispiel gelernt, wie man Rollstuhl fährt, also worauf man achten muss, und was man besser nicht macht.

Abwechselnd berichten die 5 was ihnen gefallen hat und was neu für sie war. Dann stellt Zara typische Berufe der Menschen vor, die im Altenheim arbeiten: Altenpfleger, Pflegehelfer, und Ergotherapeuten. Auf Nachfrage aus dem Publikum ergänzt Orkan die Liste und zählt Berufe auf, die es nicht nur im Altenheim gibt, aber auch dort: Haustechniker zum Beispiel, Sozialarbeiter, Rezeptionistin, und dann fällt ihm schließlich noch eine wichtige Person ein:

Orkan

" … Ach ja, und der Koch, der muss Spaß an seiner Arbeit haben und muss typisch deutsche Gerichte machen, weil alte menschen nicht mehr so Döner oder Sushi mögen ... Noch Fragen? … Dann war’s das."

Keine weiteren Fragen mehr ... am Ende gibt es viel Applaus für die Gruppe aus dem Altenheim. Auch Orkans Mutter ist gekommen. Yenigül Othan ist stolz auf ihren Sohn. Mit seinen Noten und der Schule ist sie ganz zufrieden, auch wenn sie glaubt, dass er noch mehr leisten könnte, wenn er nur wollte. Ein guter Schulabschluss ist das A und O, sagt sie.

Frau Othan

"Es ist ja später die Hauptsache, dass man einen Beruf lernt, und gute Arbeit hat. Ich mache mir schon Gedanken, aber er soll ja selber wissen, was ihm Spaß macht. Aber ich sage ihm auch, was er machen könnte, weil er das könnte."

Und dazu gehört Graphik Designer, das könnte sie sich gut für Orkan vorstellen.

Frau Othan

"Er ist am Computer auch sehr gut, also er kennt sich aus mit dem PC, dreht auch selber Filme mit Spezialeffekten und so was, malen kann er auch gut. Er hat so etwas künstlerisches an sich und kochen kann er auch, Gewürze mischen, backen… er hat sich schon viele Rezepte aus dem Internet herunter geladen und nachgemacht. Ja, das macht ihm Spaß, Koch könnte er auch werden. Ich sage immer, du musst ein Starkoch werden ...!"

Für welche Richtung Orkan und die anderen sich schließlich entscheiden, das hat bis zum Ende der 10. Klasse Zeit. Aber schon im kommenden Schuljahr werden die Weichen dafür gestellt ... Fortsetzung folgt.