HapticWalker (Bild: Norbert Michalke/Fraunhofer)
Bild: Fraunhofer

- Auf der Suche nach dem Jungmachanzug

Sogenannte Altersanzüge sind bekannt - man zieht sie an und simuliert das Alter: Man sieht und hört nicht mehr so recht, der Rücken wird krumm. Kurzum: Man fühlt sich wie 80. Sicher ein spannendes Experiment, aber: Wäre es nicht viel cooler, man könnte sich als 80-Jähriger einen Anzug anziehen und sich wieder wie 30 fühlen? Gesteuert durch Sensoren, die altersbedingte Schwächen sofort messen und ihnen gegensteuern? Anna Corves hat sich auf die Suche nach dem "Jungmachanzug" gemacht.

Wer älter wird, muss tapfer sein: Gelenkversteifung, Kraftverlust, Alterszittern – alles kein Spaß. Bleibt uns das Dank Vernetzung vielleicht künftig erspart? Das will ich herausfinden.

Problemzone 1: Die Motorik

Mit 80 flüssig laufen, ohne Rollator? Das wäre doch toll. Die Frage, ob das geht, hat mich in die Pascalstraße in Charlottenburg geführt. Hier wurde nämlich schon ein Gehroboter entwickelt – und den guck ich mir an.

Schon stehe ich in der riesigen Entwicklungshalle des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik. In dem lichtdurchfluteten Rundbau reihen sich rätselhafte Groß-Apparate aneinander. Kühlaggregate und Hydraulikpumpen rauschen.

Hier wird an den Maschinen der Zukunft geforscht, erklärt Ingenieur Henning Schmidt: "Das ist das große Versuchsfeld und da haben wir den Forschungsschwerpunkt dieser Mensch-Roboter-Interaktion."

"Wir können Stolpern oder Ausrutschen simulieren."

Schmidt bleibt vor einem Roboter stehen, den seine Forschungsabteilung entwickelt hat, für Reha-Zwecke. Mit dem so genannten "Haptic Walker" können gelähmte Menschen das Laufen wieder trainieren: "Man sieht zwei Fußplatten, auf die wird der Patient draufgestellt, zuvor noch mit einem Oberkörpergurt gesichert. Dann wird die Therapie begonnen, was der Patient machen soll, ob er Lauf auf der Ebene üben soll oder das Treppen steigen aufwärts, so ne ausgelatschte Mittelaltertreppe kann ich simulieren, wenn ich das möchte. Wir können Stolpern oder Ausrutschen richtig simulieren."

Sensoren in den Fußplatten messen dabei jede Menge Daten zum Gangbild, steuern die Fußplatten nonstop neu aus. Ein Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine, das auf Computer-Algorithmen basiert: "Eine Menge von dem, was ein Mensch so an sensorischem Empfinden hat, versuchen wir, der Maschine auch beizubringen."

Henning Schmidt, Ingenieur am Frauenhofer Institut (Bild: Frauenhofer Institut)
Henning Schmidt, Ingenieur beim Frauenhofer InstitutBild:

"Es geht nicht ums 'ob', sondern ums 'wie' und 'wann'!"

Hier wird daran gearbeitet, den Robotern menschlichen Gang beizubringen. In die Zukunft gedacht: Werden Roboter dann auch eines Tages alten Menschen beim Laufen im Alltag helfen können? "Das ist das, worauf wir hinarbeiten, und nicht nur wir hier", sagt Schmidt. Er ist optimistisch: "Es geht nicht darum, ob wir das erreichen, sondern um das 'wie' – und in welchen Zeiträumen."

Die so genannten Exoskelette gehen schon in diese Richtung. Das sind Robotergestelle, die man anziehen kann - mit Gelenken, die von Motoren angetrieben werden und so die Bewegung unterstützen. Das Kernproblem ist dabei die Interaktion von Gerät und Mensch: "Man muss da Sensoren verbauen, die die Interaktion messen – und das Ganze in Echtzeit – und die Motoren entsprechend ansteuern. Wenn ich ruckartig stehen bleibe, muss auch das Ding stehen bleiben. Es soll sich nicht das Roboterbein weiter bewegen, so dass ich noch hinfalle." Millisekunden entscheiden. In dieser Feinmotorik ist der Mensch noch unschlagbar.

Auf dem Weg zur "soft robotic"

Und davon mal abgesehen: Wer will mit 80 schon in einer Art Roboter-Ritterrüstung die Straße langlaufen? Ich hatte mir das laienhaft so vorgestellt, dass ich so eine Art Strumpf über die Beine überstreifen könnte, vernetzt mit lauter Sensoren, die, sobald mein Tritt unsicher oder wackelig wird, das irgendwo hin melden und mir dann dieser Strumpf hilft, zum Bus sprinten zu können zum Beispiel (falls wir dann noch Busse haben). "Das ist eine Vision der Robotik", erklärt Henning Schmidt. "Ein neues Forschungsfeld, nennt sich 'soft robotic', was genau in diese Richtung arbeitet, also: Ein System zu haben, was ich anziehen kann, Antriebe, die auch weich sind, sich anschmiegen, mich nicht behindern. Vom Prinzip her gibt es da Sensoren, die erfassen, wie meine Muskeln sich bewegen. Und dann wird versucht zu interpretieren: Was möchte der jetzt machen? Und entsprechend dann die Datenauswertung, die auf so einem kleinen Mikrocomputer läuft, den ich mit mir rumtrage, dann die Motoren ansteuern, sich entsprechend zu verhalten."

Allererste Prototypen gibt es schon. Wie lange wird's denn dann noch dauern, bis der Strumpf für den jugendlichen Gang mit 80 wahr wird? "Das was sie formuliert haben, ist die maximale Herausforderung für die Entwickler", meint Schmidt. "Ich würde sagen: 10, 20 Jahre, Minimum."

Scheint also gar nicht so abwegig zu sein, dass wir eines Tages den Rollator einfach in der Ecke stehen lassen können. Problemzone 1 Motorik kriegen wir also in den Griff.

Problemzone 2: Die Kognition

Agnes Flöel ist Professorin für kognitive Neurologie an der Charité und leitet dort die Gedächtnissprechstunde. Hier, in einem Klinkerbau der Charité auf dem Campus in Mitte, suchen ältere Menschen Rat, die immer vergesslicher werden. Die Arbeitsgruppe von Agnes Floel beschäftigt sich mit kognitiven Schwächen - der zweiten Problemzone des Alters. Das hat mich zu ihr geführt.

Wenn ich an Alter denke, stelle ich mir vor, dass ich mich dann schlechter konzentrieren kann, dass ich eine verminderte Reaktionsschnelligkeit habe, schneller müde werde. Sind das alles Faktoren, die sich neurologisch abbilden lassen? Ja, sagt Agnel Flöel - durch Hirnstrommessungen: "Wenn es jetzt um Hirnströme geht, so ist das im allgemeinen das EEG, wo man abbilden kann, welche vorherrschenden Wellen im Gehirn in bestimmten Arealen zu finden sind. Und grundsätzlich gibt es da schon Veränderungen zum Alter hin, zum Beispiel wird das Ganze langsamer, unregelmäßiger. Was man auch weiß, ist, dass bestimmte Hirnregionen in ihrem miteinander schwingen und damit kommunizieren schlechter werden."

EEG-Haube stimuliert das Gehirn

So entsteht Vergesslichkeit beispielsweise dadurch, dass das Areal für die Informationskontrolle nicht mehr perfekt synchron mit dem für die Informationsspeicherung zusammenarbeitet. Um das Gehirn zu verjüngen, muss also unter anderem diese Zusammenarbeit verbessert werden. Das geht mithilfe von Elektro-Stimulation, wie Neurologin Agnes Flöel in Studien zeigt. Probanden, die durch Elektroden am Kopf leichte Stromreize erhalten, können zum Beispiel Gedächtnisaufgaben besser lösen als Probanden ohne diese Stimulation.

"Was durchaus denkbar ist und was jetzt sogar schon in Pilotprojekten auch von uns ausprobiert wird, ist, dass man so mobile EEG-Hauben hat", erklärt Flöel. "Das heißt, man hat quasi eine Haube auf, die tatsächlich durchgehend die Hirnstromaktivität messen kann. Auch diese Stimulatoren lassen sich im häuslichen Umfeld anwenden. Wenn jetzt zum Beispiel eine Aufgabe am Computer durchgeführt wird, einfach so ein kognitives Trainingsprogramm, kann tatsächlich gemessen werden: Wie sind die Hirnströme? Und wenn jetzt bestimmte Algorithmen sagen, das ist jetzt nicht ideal für diese Aufgabe, kann dann angepasst stimuliert werden."

Der komplexe Alltag der Kognition

Dann ist es ja eigentlich kein großer Schritt mehr, das alltagsfähig und dem Verbraucher zugänglich zu machen. Ziehe ich mir also bald morgens so eine Haube auf, die meine altersbedingten, kognitiven Schwächen ausgleicht? Agnes Flöel bremst meine Euphorie ein wenig: "Ich denke, der Weg dahin ist in jedem Fall beschritten. Aber es wird halt wesentlich schwerer, wenn man versucht, den Alltag insgesamt zu beeinflussen. Denn in jeder Situation hat man so viele verschiedene Dinge, die man tut und die dann gewissermaßen auch in Konkurrenz miteinander stehen, dass da der Algorithmus im Moment noch nicht gefunden. Aber ausgeschlossen ist das sicher nicht."

Das Fazit zu Problemzone 2, der Kognition: Nicht unmöglich, dass wir eines Tages so eine Hightech-Leistungsstütze haben werden, aber es wird schon noch eine ganze Weile dauern.

Problemzone 3: Die Körperchemie

Wenn man älter wird, ändert sich auch die Biochemie des Körpers, etwa die Hormone wie Testosteron und Östrogen, oder auch der Blutzucker. Das kann zum Beispiel die Muskeln und die Leistungsfähigkeit schwächen. Will man das also in Zukunft verhindern, muss man sich auch um diese Stoffe kümmern.

Ob das geht, weiß Professor Friedrich Köhler, Internist und Pionier im Bereich der Telemedizin. "Die Besonderheit ist da", berichtet Köhler, "dass wir da eine eigenständige Abteilung haben, die sich nur mit dem Patienten an der virtuellen langen Leine beschäftigt".

Ein Raum, drei Frauen vor je drei Bildschirmen, die Kurven, Tabellen, Werte zeigen. An der Wand: Eine große Deutschlandkarte, mit vielen bunten Fähnchen gespickt: "Sie sehen hier deutschlandweit, wo die Patienten sind. Und dann haben sie hier Arbeitsplätze, die eigentlich aussehen, wie die eines Brokers."

Telemedizinisches Zentrum (Bild: Charité Universitätsmedizin Berlin)
Telemedizinisches Zentrum an der Charité

Der Patient wird aus der Distanz betreut

Die drei Frauen sind Pflegerinnen und überwachen von hier aus 1.500 herzschwache Patienten bundesweit. Die messen zuhause regelmäßig Blutdruck und Gewicht - die Daten werden automatisch auf die Rechner hier übermittelt. Meldet das System ein Problem - fährt ein echter, analoger Arzt los: "Das ist der sogenannte Status O im sogenannten "Remote Patient Management", das heißt also Patient mitbetreut über die Distanz", erklärt Köhler.

Klingt ziemlich bodenständig - und noch weit weg von meiner Vision: Kann es einen Anzug geben, der kontinuierlich meine Blutwerte und Stoffe misst - und gleich gegensteuert, wenn sich ein Stoffmangel abzeichnet?  Köhler verweist auf das großangelegte Zukunftsprojekt, an dem er zusammen mit Informatikern, Technikern und vielen anderen Disziplinen forscht. "Next Generation of Body Monitoring" heißt es: "Grundfrage in diesem Fall ist, ob man mit einem Mikrochip, der also viel kleiner ist als eine SIM-Karte vom Telefon, der sogar implantiert werden kann, Laborleistung mit größter Präzision auch abbilden kann: Hormone messen kann, Medikamentenspiegel messen kann, ohne dass es großer Blutabnahmen bedarf. Und da stehen wir am Anfang."

Professor Friedrich Köhler (Bild: Charité Universitätsmedizin Berlin)
Professor Friedrich Köhler

"Auch mit 80 noch selbstbestimmt leben können"

Das Labor auf dem Chip also. Fehlt nur noch die Möglichkeit, gemessene Stoffschwankungen automatisch auszugleichen. Und genau daran forscht wiederum die Nanotechnologie - an Nano-Robotern, so genannten Nanobots. Winzigste Roboter, die nicht einmal unter dem Mikroskop sichtbar sind: "Dass man dann eben auf Molekülbasis genau so viel, wie viel man eben von diesem Wirkstoff braucht, eben auch idealerweise an die Zelle bringt, die es dann auch benötigt. Das sind alles solche Visonen der Medizin des 21., vielleicht sogar des 22. Jahrhunderts."

Das Ziel auch hier: Die Schwächen des Alters abzufedern. "Das ist unsere Aufgabe. Zu sagen: Wir können mit 80 immer noch selbstbestimmt leben."

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