Reportage Moabit - Nicht schick, aber bunt

Moabit liegt mitten in der Stadt - doch mit dem Berliner Mitte-Chic rund um den Hackeschen Markt hat man in der Turmstraße und den anliegenden Straßen wenig am Hut. Hier leben mehr Kinder in Armut als im Durchschnitt der Stadt, jeder zweite Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Oliver Soos über einen sehr multikulturell geprägten Kiez.

Auf der Turmstraße in Moabit ist Multi-Kulti gelebter Alltag. An der Kreuzung zur Oldenburger Straße konkurrieren die türkischen Supermärkte 'Bolu' und 'Eurogida' um Kunden. Unter den vielen türkischen, arabischen und afrikanischen Kunden sticht Cedrik Wette heraus. Er ist 18 Jahre alt, schlaksig, Jeansjacke und Kapuzenpulli. Seine Haare sind blau gefärbt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, er hat ein Nasenpiercing.

Cedrik Wette ist in Moabit als Kind deutscher Eltern aufgewachsen und lebt immer noch hier. Im Moment steckt er im Abitur-Prüfungsstress. Auch an seiner Schule ist er es gewohnt, viele Menschen mit Migrationshintergrund um sich herum zu haben, erzählt er: "In unserem Jahrgang sind von 120 Schülern vielleicht 15 Deutsche. Man hört dann schon mal 'deutsche Kartoffel', aber das ist dann nichts wirklich Ernsthaftes oder Schlimmes. Gerade in meinem Freundeskreis ist das komplett egal. Auch die Eltern sind tolerant. Da sitzen dann bei einem Kurden ein Türke, ein Sri Lankaner und ich auf der Couch und das ist komplett egal."

Inforadio-Reporter Oliver Soos in Berlin-Moabit

Video: Jens Butterwegge

Ausländische Freunde gehören einfach dazu

Multi Kulti erhalten und Integration fördern, das sind für Cedrik die wichtigsten Themen für die Bundestagswahl. Für den 18-jährigen Schüler ist es schon das zweite Mal, dass er wählen gehen kann. Generell tendiert er zur SPD, doch bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl hat er seine Erststimme der Kandidatin der Linken gegeben. Sie war in seiner Schule auf einer Podiumsdiskussion und hat ihn da überzeugt. Cedrik fand sie sachlicher und weniger impulsiv als die anderen Kandidaten und sie hat versprochen, Jugendeinrichtungen zu fördern.

Eine Partei geht für Cedrik aber gar nicht, sagt er: "Ich finde es erschreckend, wie viele Menschen hinter der AFD stehen. Ich bin immer mit ausländischen Freunden aufgewachsen und kann die Ängste überhaupt nicht verstehen."

Doch Moabit ist nicht nur heile Multi-Kulti-Welt. Der Kleine Tiergarten ist einer der größten Drogenumschlagplätze in Berlin. Straßenkriminalität hat auch die Jugend des 26-jährigen Moabiters Abdulaziz Suleiman geprägt. Heute rappt er darüber, unter seinem Künstlernamen Azizz21.

Moabit könne man ohne weiteres mit Klein-Neukölln vergleichen, sagt er. "Bei mir in der Vergangenheit war es immer so, dass ich mit Leuten zusammen gewesen bin, die auch ein bisschen aggressiver waren und auf jedes Gesetz geschissen haben. Sie haben Drogen gedealt, Leute abgezogen. Ich war ein Jahr in Untersuchungshaft wegen Raub mit schwerer Körperverletzung."

Die Lebensqualität hängt vom Besitz eines Passes ab

Azizz erzählt, dass seine Eltern wenig Geld hatten und als Flüchtlinge aus dem Libanon gekommen sind. Sie waren lange staatenlos. Azizz hat 25 Jahre lang ohne Pass in Berlin gelebt, von Duldung zu Duldung. Er war neidisch auf die anderen Jugendlichen, erzählt er: "Freunde waren in Spanien, Marokko oder Ägypten. Ich bin jetzt 26 Jahre alt und ich war noch nie außerhalb Deutschlands und das alles nur wegen eines Passes."

Immerhin hat Azizz seit wenigen Monaten einen syrischen Pass. Sein Vater hat syrische Wurzeln und wurde über die Botschaft des Landes anerkannt. Dadurch hat jetzt auch Azizz das so wichtige Dokument. Der Pass sichert Azizz einen dauerhaften Aufenthalt, endlich darf er arbeiten. Azizz will nun in der deutschen Gesellschaft ankommen und sich von seinen kriminellen Freunden fernhalten. Im Gefängnis hat Azizz eine Ausbildung zum Tischler gemacht. Als Tischler und Rapper seinen Lebensunterhalt verdienen, das wäre sein Traum.

Moabit ist, trotz seiner zentralen Lage in Berlin, bislang nie ein echter Hotspot gewesen. Bekannt ist die Gegend rund um die Turmstraße vor allem für das Gefängnis und die Organisation 'Moabit hilft', die sich um die ankommenden Flüchtlinge kümmert. Doch in den letzten Jahren tut sich was, die Mieten steigen, der Kiez wird lebendiger. Rund um den U-Bahnhof Birkenstraße sieht man Spätis, Bäckereien, Dönerbuden, Stühle auf dem Bürgersteig. Die Kneipen 'Arema', 'Lichtblick' und 'Tiree' ziehen viele Studenten an.

Auch Ali Kamburoglus kleiner Feinkostladen "Merhaba Discount' in der Birkenstraße ist Kult. Seit 1987 verkauft Ali Lebensmittel, Weine und selbst gemachte Brotaufstriche. Er kennt fast alle seine Kunden persönlich, mit jedem hält er ein kleines Pläuschchen: "Wir reden über alles, über private Sachen und besonders über Politik. Deswegen bin ich seit 30 Jahren hier, sonst würde ich den Job nicht einmal eine Woche ausüben."

Moabit wehrt sich auch mal

Am liebsten redet Ali Kamburoglu über Außenpolitik. Das Geschehen in der Türkei treibt ihn besonders um. Der 58-Jährige hat einen deutschen und einen türkischen Pass. Beim Türkei-Referendum hat er gegen Erdogans Verfassungsänderungen gestimmt. Ali will aber auch zur Bundestagswahl gehen. Er findet das politische System in Deutschland ohnehin deutlich besser als in der Türkei, sagt er: "Man lebt frei. Wenn Unrecht passiert, hat man seinen Anwalt. Die Demokratie läuft. In der Türkei muss man viel Geld haben und seine Leute, sonst geht es nicht. Nur durch Beziehungen."

Elke Fenster kommt in den Laden. Auch sie wohnt schon seit den 80er-Jahren in Moabit und leitet hier den 'Moabiter Ratschlag', einen Verein für Jugendsozialarbeit. Elke Fenster erzählt, dass sie immer nur innerhalb von Moabit umgezogen ist und nie wegwollte. Hier im Kiez passe einfach die Mischung der Leute. Doch die Sozialarbeiterin macht sich Sorgen, dass die Stimmung kippen könnte, wenn die AFD in den Bundestag einzieht: "Wir hatten hier schon Bärgida-Demonstrationen. Die sind immer montags durch den Kiez gezogen und haben Parolen gegrölt, da standen einem die Haare zu Berge. Wir haben dagegen demonstriert: Moabit wehrt sich!"

Auch in Ali Kamburoglus Feinkostladen sind nicht nur Multikulti-Fans. Wenn ein Kunde alle Moslems über einen Kamm schert, weist er ihn auch schon mal sanft zurecht: "Die normalen Moslems sind ganz normale Menschen. Ich erkläre den Leuten, dass sie vor diesen Menschen keine Angst haben müssen."

Religiösen Fundamentalismus allerdings lehnt der Gemüsehändler ab. Als ihm einmal strenggläubige Moslems vorgeworfen haben, dass in seinem Laden auch Alkohol verkauft werde, legte er sich mit ihnen an. Denn er ist davon überzeugt: "Das ist ein christliches Land. Wenn man hierherkommt, muss man sich anpassen.

Zwischen den Kulturen vermitteln, Ali sieht das durchaus auch als seine Aufgabe an. Denn Multi-Kulti soll ja in Moabit weiter funktionieren.

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