Reportage Bad Freienwalde - Kurstadt sucht Jungbrunnen

Im äußersten Osten von Brandenburg liegt Bad Freienwalde. Von hier aus ist es nach Polen nur ein Katzensprung - der Weg in die Hauptstadt dagegen sehr lang. Bad Freienwalde stemmt sich mächtig dagegen, dass die Bevölkerung immer älter wird. Doch die schöne Landschaft reicht dem Nachwuchs nicht. Dominik Lenz über eine Kurstadt mit Schatten. 

Markttag in Brandenburgs ältestem Kurbad. Neben herausgeputztem klassizistischen Rathaus, Stadtkirche und Tröpfelbrunnen stehen einige Stände mit Obst, Gemüse und Werbeartikeln. Wenn Sonntag Bundestagswahl wäre, würden die Frauen, die am Bratwurststand Schlange stehen, alle wählen gehen: "Weil sonst die Wählerstimmen woanders hinkommen und da möchte ich sie nicht", heißt es da, aber auch:  "Ob man mit der Bundestagswahl unsere Problem beeinflussen kann, das glaube ich nicht." Trotzdem sind sich hier alle einig: "Ich geh auf jeden Fall wählen!"

Dabei gehört die Wahlbeteiligung in Bad Freienwalde üblicherweise zu den niedrigen in Brandenburg, nur gut jeder zweite gab bei der letzten Bundestagswahl seine Stimme ab. Wie bei diesem Kraftfahrer überwiegt bei vielen das Gefühl, dass das für Bad Freienwalde sowieso nichts bringt:  "Hier entsteht keine Industrie, keine Arbeitsplätze, die meisten fahren nach Berlin. So ist das hier!"

Inforadio-Reporter Dominik Lenz in Bad Freienwalde

Video: Tobias Goltz

Es ist doch schon vieles getan worden

Bad Freienwalde liegt mitten im schönen Oderbruch, zwischen den Hügeln der märkischen Schweiz. So hoch sind die, dass es sogar zu Deutschlands nördlichster Ski-Sprung-Anlage reicht. Eine direkte Bahnanbindung nach Berlin dagegen gibt es nicht. Dabei könnte das vieles erleichtern, meint Bürgermeister Ralf Lehmann: "Das würde natürlich für unsere Standortentwicklung positive Effekte bringen."

Lehmann sitzt in seinem Amtszimmer mit Blick auf den Markt. Seit 1994 ist er bereits Bürgermeister, spricht er von SEINEM Bad Freienwalde, wird er ein bisschen sentimental: "Die Gegend, die Landschaft, das Kleinteilige!"

Ja, es gebe Leerstand, es gebe bröckelnde Fassaden, doch gerade in den letzten sieben Jahren sei viel renoviert und gebaut worden, mit privatem Geld und aber auch mit Geld aus der Landeskasse: "Damals war die Stadt Bad Freienwalde ein graues Entlein mit vielen schlechten Fassaden. Heute sind wir eine bunte, attraktive Stadt."

Doch die Stadt hat ein gravierendes Problem: Ihr gehen die Menschen aus. Von den gut 12.000 Bewohnern sollen schon 2030 keine zehntausend mehr übrig sein, Tendenz weiter fallend. Vor allem die jungen, die Akademiker und die, die es noch werden wollen, kehren der Stadt den Rücken. Die stemmt sich gegen den Abwärts-Trend mit Kita-und Hort-Ausbau, mit attraktiveren Schulen und Angeboten für die Jugend.

Eigentlich lebt es sich ganz gut in Bad Freienwalde, bestätigen einige Zehntklässler, die vom Gymnasium nach Hause gehen, allerdings: "Ich habe das Gefühl, dass die Stadt zum Teil ein bisschen überaltert." Die Demografen zeichnen tatsächlich ein finsteres Bild: vor allem der so genannte Mittelbau, Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 20 und 65 Jahren, gehen der Stadt verloren. Es fehlt der Nachwuchs und es fehlen Steuereinnahmen für wichtige Investitionen. Ein Teufelskreis. Auch die Zehntklässler haben nach dem Schulabschluss ein klares Ziel: "Ich will hier wegziehen. Einfach wegen der Arbeit. Weil es hier ja kein Arbeitsangebot gibt."

Arbeit gibt es genug - aber die will keiner

Dabei werden Arbeitskräfte sogar gesucht sagt Malermeister Stefan Mix, der am Stadtrand gerade ein Einfamilienhaus renoviert: "Wir haben genug Arbeit in der Region. Wir sind mehrere Malerfirmen im Kreis und wir tun uns nicht weh." So viele Aufträge hat er, dass er dringend Personal braucht. Das Arbeitsamt vermittelte 15 Arbeitsuchende, von denen kam aber keiner zum Gespräch.

"Da sind Langzeitarbeitslose dabei, die teilweise sechs Jahre zuhause sitzen und kassieren", erzählt Mix. "Wenn so einen kleinen Betrieb hat wie ich, macht einen das mürbe. Ich muss sechzig Stunden arbeiten, kriege jeden Tag von irgendeinem Amt Post, muss zahlen und dann habe ich da fünfzehn Bewerbungen auf dem Tisch liegen, wo sich keiner drauf meldet!"

Auch bei Fliesenleger Michael Schulz läuft der Betrieb gut. Allerdings hat er seit Jahren schon keinen Lehrling mehr. Die Jungen würden nur davon träumen, am PC ihr Geld zu verdienen: "Körperlich - das will keiner mehr." Auch im nahegelegenen Polen findet er keine Arbeitskräfte für seinen Betrieb. Die gingen lieber dorthin, wo besser bezahlt wird: "Die fahren weiter nach Berlin. Es gibt sehr viele, die auf Montage sind. Die fahren Montag los und Freitag wieder nach Hause."

Bad Freienwalde ist nur Transitstrecke. Der Malermeister und der Fliesenleger arrangieren sich mit den schlechten Löhnen im Oderbruch, arbeiten viel und kommen gut über die Runden. Wer irgendwann ihre Arbeit fortsetzt, ist unklar.

Doch es gibt einen Hoffnungsquell, der den Ort wieder beleben könnte: Zwischen bewaldeten Abhängen im Südwesten der Stadt sprudelt die Kurfürstenquelle, als Heilwasser entdeckt im 17. Jahrhundert. Gleich daneben Kurklinik und Moorheilbad, mondäne Bäderarchitektur und gepflegter Kurpark. In den 1920er Jahren kamen die Berliner in Scharen, um sich hier zu erholen. Das könnte doch wieder so sein, brächte mehr Jobs im Gesundheitswesen und Fremdenverkehr und dringend benötigtes Geld in die Stadt, hofft Bürgermeister Lehmann.

Dabei stand die Zukunft als Moorheilbad auf der Kippe. Denn dafür muss die marode Stadtbrücke abgerissen und durch einen Verkehrskreisel ersetzt werden. Was die Menschen in Bad Freienwalde so empörte, dass sie sogar auf die Straße gingen, erzählt Dennis Ferch vom Bürgerforum Kurstadt-Dialog: "Der Machtkampf zwischen 'pro-Brücke' und 'pro-Kreise' hat dazu geführt, dass Menschen, die auf einer Straße wohnen, nicht mehr miteinander reden. Die gucken sich nicht mehr an!"

Am Ende engagieren sich immer die gleichen

Nicht die Flüchtlingskrise, nicht die hohe Arbeitslosigkeit oder der Kampf gegen die Grenzkriminalität - der Streit um den Abriss ihrer Brücke hat die Bad Freienwalder politisiert: "Da war ganz viel Bewegung, da waren die Leute da, da wurde gemeckert, da waren sie aktiv", sagt Ferch. "Sobald es aber theoretischer wurde, als es um die Entwicklung des Moorbades ging oder die Gastronomie, da wurden es wieder weniger."

Bad Freienwalde habe es verdient, dass man sich einsetzt, sagt der 29-jährige Sozialpädagoge. Darum leitet er unter anderem den Kurstadt-Dialog - ein Bürgerforum, in dem die Themen der Stadt diskutiert und die Menschen zum Mitdenken animiert werden sollen. Am Ende seien es dann doch aber immer wieder die gleichen, die sich engagieren, sagt Bauunternehmer Uwe Bahr, ebenfalls mit im Kurstadt-Dialog: "Es gibt Leute, die immer was zu meckern haben. Aber im großen und ganzen, egal was man im Ort macht, es sind immer die gleichen Beteiligten."

Er selbst ist Stadtverordneter und Ortsvorsteher. Deshalb weiß er, dass man auch in der kleinen Politik viel erreichen kann: "Es hat noch nie einen Antrag gegeben, der abgelehnt wurde."

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