Reportage Kleinmachnow - Voll in der Hand der Zugezogenen

Kleinmachnow am südwestlichen Rand von Berlin ist ein typischer Ort im Speckgürtel.  Hier gibt es beides: Grün und Trubel – Berlin ist nicht weit weg. Rund 20.000 Menschen wohnen mittlerweile in Kleinmachnow, doppelt so viele wie zu Wendezeiten. Und die meisten verdienen gut. Amelie Ernst über eine der kaufkräftigsten Gemeinden in Deutschland.  

Viel Grün, volle Kassen, kaum Arbeitslosigkeit - man könnte meinen, Kleinmachnow hat gar keine Probleme. Schon gar nicht, wenn man das Treiben auf dem neuen Kleinmachnower Rathausmarkt beobachtet und die Menschen fragt, wie es ihnen geht und ob sie irgendetwas stört:

"Nee, stören tut mich gar nichts. Immer wenn ich hier sitze, denke ich, ich hab‘ es sehr gut in meinem Leben. Ich bin sehr privilegiert, hier leben zu dürfen, bin schon dankbar dafür." - "Man kann viel draußen machen und alles ist halt total nah. Man muss kaum mit dem Auto fahren, sondern kann mit dem Fahrrad fahren oder laufen." - "Ja, in Berlin-Mitte sind viel mehr Autos und man kommt nicht so gut voran."

Ein paar Meter weiter an der Ecke, im Kiosk von Andreas Clavis, hört sich das dann schon etwas anders an. Dort ist zwischen Zigaretten, Zeitschriften und Lottoscheinen auch mal Zeit für einen kurzen Plausch. Susanne Kyriliuk sucht seit Monaten eine Wohnung in Kleinmachnow. Nicht für sich - sie wohnt schon länger hier. Aber jetzt möchte auch ihre Tochter zurückkommen, samt Familie.

"Die Mieten sind ja so gestiegen – das war ja nicht immer so teuer", beklagt Susanne Kyrliuk. "Als wir hergezogen sind, vor 12, 13, 14 Jahren, da haben wir ja auch unter 1.000 Euro bezahlt für die Wohnung - ´ne 3-Zimmer-Wohnung. Und das war schon viel!" Egal ob Mieter oder Käufer: Wer in Kleinmachnow wohnen will, der muss Geld mitbringen.

So sei das nun mal, sagt Bürgermeister Michael Grubert – da könne er nur wenig gegensteuern: "Wir versuchen selber jetzt als Kommune, ein kleines Wohngebiet mit etwa 150 Wohneinheiten in Kleinmachnow noch bebauungsreif zu machen, um dort über unsere eigene Wohnungsgesellschaft sozial geförderten Wohnungsbau zu errichten. Insgesamt können Sie aber als Kommune an den wachsenden Immobilienpreisen nichts verändern. Das heißt, unsere Fläche ist endlich und Kleinmachnow ist sehr, sehr attraktiv. Und da werden Sie nichts verändern können."

Die Kehrseite des Booms

Was Wohnungssuchende ärgert, freut viele Unternehmen in und um Kleinmachnow. Vor allem bei Dienstleistern und Handwerksbetrieben stapeln sich die Aufträge. Denn wer hier das nötige Kleingeld für ein Häuschen hat, der braucht meist auch jemanden, der sich darum kümmert. Burghard Ehlert betreibt seit über 20 Jahren eine Gebäudereinigungsfirma in Kleinmachnow und ist zufrieden:

"Also wir freuen uns über jeden Zuzug, über jeden potentiellen Kunden und wir stellen uns drauf ein. Und wir können dabei nichts Negatives finden. Wir bedienen ja nicht nur Kleinmachnow, sondern auch das Umfeld von Kleinmachnow. Und da haben wir ´ne gute Auftragslage und sind eigentlich froh über diese wirtschaftliche Entwicklung.

Gerade weil er in vielen Häusern unterwegs ist, bekommt der 64-Jährige Gebäudereinigungsmeister aber auch die Kehrseite des Booms im Speckgürtel mit: Nirgendwo in Brandenburg wird so viel geklaut wie hier:  "Also da fühlen wir uns natürlich total von der Politik vernachlässigt. Wir kennen schon fast kein Haus mehr, wo nicht eingebrochen wird. Und denn zu sagen - in den Berichten, die wir hören - liebe Leute, kauft Euch mal 'n besseres Schloss – das kann natürlich nicht der politisch letzte Akt gewesen sein."

Aber ein kleines bisschen seien die Zugezogenen auch selbst mit Schuld an der Einbruchsserie, findet Susanne Kyriliuk. Manche machten es den Dieben einfach zu leicht: "Ich meine, wenn ich nach außen so protze, dann kann ich überall damit rechnen, dass ich überfallen werde. Also wenn man das so nach außen trägt – innendrin alles zu sehen, was man da so hat. Das lockt natürlich Diebe an!"

150 Mal wurde im vergangenen Jahr in Kleinmachnower Häuser eingebrochen; 200 Autos wurden aufgebrochen oder gleich ganz gestohlen. Beide Zahlen haben sich innerhalb von fünf Jahren verdoppelt, deshalb steht das Thema Sicherheit auch für SPD-Bürgermeister Michael Grubert derzeit ganz oben auf der Agenda:

"Wir unterstützen die Polizei auch selber durch unsere Sicherheitspartner. Wir versuchen präventionsmäßig diese K-DNA zu verkaufen, mit der man seine eigenen Gegenstände kennzeichnen kann, damit sie im Diebstahlsfall etwas leichter aufzufinden sind." Dem Bürgermeister ist aber auch klar, dass das erstmal nur kleine Maßnahmen sind. "Ich glaube, der Staat muss da etwas mehr Flagge zeigen – das wäre auch gut für die gesamte Kriminalität, die drumherum ist: wie Ruhestörung, kaputte Bushäuschen abends oder auch Grafitti. Das wäre einfach gut, wenn wir eine stärkere Polizeipräsenz hätten."

Nur jeder Fünfte stammt aus Kleinmachnow

Urs und Myrna Dudzus hatten Glück: Bei ihnen wurde bisher noch nicht eingebrochen. Vor sieben Jahren kamen sie mit den beiden Kindern Mikkeline und Nikka aus Berlin nach Kleinmachnow, bauten ein Haus – und wollen bleiben. "Ich gönne es jedem, der die Möglichkeit hat, herzuziehen. Wenn mehr die Möglichkeit haben, finde ich das großartig für jeden, der das tun darf", sagt Myrna. Und ihr Mann gergänzt: "Also in der Straße wohnen, soweit wir wissen, noch ein paar ehemalige Kleinmachnower. Aber da haben wir bisher keine Probleme gehabt." Seine Frau stimmt ihm zu: "Das war ganz positiv, ja."

Inforadio-Reporterin Amelie Ernst in Kleinmachnow

 

Nur noch etwa jeder fünfte Kleinmachnower ist auch hier aufgewachsen – der Ort ist klar in der Hand der Zugezogenen. Urs und Myrna Dudzus wissen, dass sie privilegiert sin. "Ich glaube, eines der dringendsten Probleme ist das Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland", sagt Urs. "Wenn man Berlin mal betrachtet: Die Armutsquote unter Kindern finde ich erschreckend. Ich glaube, Politiker sollten drauf achten, dass diese sozialen Belange stärker in den Mittelpunkt rücken. Wird immer vor den Wahlen gesagt, wie wichtig das sei. Und nach den Wahlen passiert dann im Grunde genommen gar nichts mehr."

Urs Dudzus ist Lehrer und diskutiert im Unterricht viel mit seinen Schülern über Politik. Aber auch die 13jährige Tochter Mikkeline macht sich so ihre Gedanken – zum Beispiel über den Preis der vielen neuen Häuser in Kleinmachnow: "Da war zum Beispiel so ´ne Kleingartensiedlung. Und da waren ganz viele alte Obstbäume und schöne Pflanzen, und das war so ganz idyllisch", erzählt sie.

"Und dann hat es irgendein Unternehmer gekauft und es wurde alles abgerissen. Die Leute konnten eigentlich nicht wirklich was dagegen machen und mussten das sozusagen aufgeben. Und da würde ich es mir wünschen, dass man vielleicht ein bisschen mehr auf die Anwohner hört."

So mischt sich auch bei manch Alteingesessenem auf dem Rathausmarkt Skepsis in die an sich gute Stimmung hier: Es ist immer noch Kleinmachnow – aber eben nicht mehr für alle: "Ist halt alles zugebaut, ist nicht mehr grün, und deswegen ist Kleinmachnow nicht mehr so schön wie’s früher war." - "Da ist viel Besserwisserei." - "Na wenn so eine Stadt wächst bis auf 20.000, dann sind neue Probleme da. Und Menschen, die glauben, sie würden alles besser machen. Naja – ich sag‘ ja: Schweigen wir lieber."

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