Reportage Herzberg - Wechselstimmung im Süden
Idyllisch liegt Herzberg im Dreiländereck Brandenburg - Sachsen - Sachsen-Anhalt, weit über tausend Menschen sind in den letzten zehn Jahren hier weggezogen. Doch das politische Geschehen macht vor der Kleinstadt an der Schwarzen Elster nicht halt. Seit 2015 wohnen Flüchtlinge hier, von den einen unterstützt, von den anderen kritisch beäugt. Torsten Sydow über einen Ort, in dem der Zuzug von Flüchtlingen nicht von allen als Chance gesehen wird.
Die meisten der gut 9.000 Einwohner von Herzberg schlafen noch, wenn Bäckermeister Danilo Lucas um kurz nach zwei Uhr in der Nacht seine Knetmaschine anwirft. Sauerteig für das Roggenbrot vorbereiten, Brötchen in den Backofen schieben, Mohnschnecken und Blechkuchen backen. Das ist Morgenroutine für Lucas.
Seit mehr als 100 Jahren ist die Bäckerei in Familienbesitz. Handgemachte Brote und Brötchen werden immer gekauft, sagt Lucas. Leider verstünden die jungen Leute in der Kreisstadt von Elbe-Elster das nicht als berufliche Chance: "Viele wollen ja gerne ins Büro. Computer anschalten, sich hinsetzen und damit viel Geld verdienen. Das ist im Handwerk nicht ganz so. Man muss hier arbeiten mit den Händen. Der Teig mischt sich nicht allein und die Zutaten fallen nicht allein in den Kessel. Man muss schon was tun dafür."
Weil ihn der Bäckeralltag voll fordere, habe er keine Zeit, sich politisch zu engagieren, sagt der Bäckermeister. Ausserdem habe er die Erfahrung gemacht, dass Forderungen nach einer besseren Autobahnanbindung oder Protest gegen Windräder die Regierenden ohnehin kalt lasse: "Ich habe das Gefühl, dass man hier ganz abgehängt wird. Das beste Beispiel sind die Windräder hier, die Bürgerinitiative wird überhaupt nicht für voll genommen", so seine Erfahrung.
"In Potsdam wurde diese Baugenehmigung erteilt, kurz vor Weihnachten, so das keiner groß was dagegen machen konnte. Jetzt werden die Windräder gebaut und der Bürgerprotest löst sich in Luft auf." Es müsse sich was ändern in Deutschland, sagt Bäcker Lucas unumwunden, Angela Merkel sollte abgelöst werden. SPD, CDU, SPD und Grünen hätten immer nur Versprechungen gemacht. Deutschland brauche was anderes - zum Beispiel die Alternative für Deutschland.
Video: Tobias Goltz
Flüchtlinge haben keinen Stress in Herzberg
Vor vier Jahren stimmten 5,6 Prozent der Herzberger für die AfD, weit abgeschlagen hinter der CDU mit knapp 38, der Linken mit 24 und den Sozialdemokraten mit rund 21 Prozent. "Natürlich, wenn das Wort AfD fällt, wird alles automatisch gleich an den rechten Rand gedrückt. Ich finde das nicht richtig", sagt Danilo Lucas. "Die AfD ist zum Beispiel für kostenlose KiTa-Plätze. Das wird nicht erzählt. Das haben die großen Volksparteien noch nicht geschafft. Und solche Sachen werden halt totgeschwiegen. Oder jetzt gerade die Asylpolitik, wo ich denke, da haben die großen Parteien vieles falsch gemacht."
Dass die Asylpolitik auch um die stille Kleinstadt an der Schwarzen Elster keinen Bogen macht, ist auf dem gepflasterten Marktplatz zu sehen. Dort sind Amjad, Sami und Bedruddin unterwegs, syrische Flüchtlinge, zwischen Mitte 20 und Mitte 40.
Sie haben Hefte und Schreibblöcke in den Händen und kommen gerade vom Deutschkurs: "Es ist gut hier. Wir gehen jeden Tag zur Schule und in der nächsten Woche haben wir Prüfung. Erst müssen wir lernen und danach suchen wir Arbeit. Ich würde gern eine Ausbildung zum Krankenpfleger machen. Aber erst muss ich die Sprache lernen!"
Im September soll es mit dem Praktikum losgehen, erzählt Sami noch und dass es keinen Stress hier in Herzberg gibt: "Es ist alles gut. Es gibt keine Probleme. Nicht mit den Deutschen, nicht mit den Ausländern."
Die wenigen Flüchtlinge, die jetzt in der südbrandenburgischen Kleinstadt mit den vielen leeren Schaufenstern leben, könnten eine Chance für die Region sein. Das denkt Ulf Lehmann, er ist Elektromeister und hat seine Werkstatt nur wenige Schritte vom Marktplatz entfernt.
Trotz der Arbeitsbelastung hat er sich bereits zweimal erfolgreich um einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung beworben - beim ersten Mal als Einzelkandidat, jetzt ist Lehmann einer von drei Abgeordneten der Gruppierung 'Herzberg zählt'. Wie Bäcker Lucas will auch er nicht aus Herzberg weg und setzt sich als Stadtverordneter für moderne Schulen und den Erhalt des Krankenhauses ein.
Lehmann glaubt, dass die Flüchtlinge die Stadt neu beleben könnten und hat für den jungen Syrer Yassir einen Praktikumsplatz in seiner Firma geschaffen: "Wenn man jetzt pauschal sagt, keine Flüchtlinge, überhaupt kein Fremder in Herzberg, dann sage ich immer aus Handwerkersicht: Wer soll denn in zehn Jahren die ganze Arbeit machen? Wir brauchen einfach Arbeitskräfte. Und irgendwo müssen sie herkommen. Wenn wir in Deutschland nicht ausreichend Kinder haben, müssen wir uns einen Kopf machen, woher sie kommen. Und alles werden auch Roboter in 20 Jahren nicht machen."
Für den Mittelstand müsse mehr getan werden
Dass sie arbeite wie ein Roboter - manchmal beschleicht Sibylle Rindt genau dieses Gefühl. Wenn Kolleginnen krank sind und ganz schnell viel Arbeit anfällt für sie als Krankenschwester, die seit mehr als 25 Jahren im Herzberger Seniorenzentrum 'Albert Schweitzer' alte Menschen pflegt. Sie liebe ihren Beruf, sagt sie, und dass zu ihrem Team auch Kolleginnen gehören, die aus Russland und der Ukraine kommen.
Möglicherweise könnten ja Flüchtlinge später in Pflegeberufen einsteigen und die Situation etwas verbessern, findet Sibylle Rindt. Aber bereits jetzt müssten die Pflegeberufe von der Politik, von der Öffentlichkeit, stärker anerkannt werden. Darum ist soziale Gerechtigkeit für die 45jährige ein ganz wichtiger Punkt, wenn sie an die Bundestagswahl denkt: "Es gibt sehr reiche und es sehr arme Leute in Deutschland. Aber für den Mittelstand, zu dem ich mich auch zähle, sollte mal mehr getan werden. Es kann nicht sein, dass es bei uns noch Mitarbeiter gibt, die so viel Geld für ihre Arbeit bekommen wie Hartz-IV-Empfänger. Das kann einfach nicht sein, dass dafür jemand arbeiten geht. Das ist traurig."
Sibylle Rindt erzählt von Bekannten, die immer nur meckern und fehlende Veränderungen beklagen würden - und dann nicht zur Wahl gehen. Da ist die Herzberger Krankenschwester anders drauf, auch weil sie es nicht gut fände, wenn die AfD mit vielen Abgeordneten in den Bundestag einziehen würde: "Ich gehe eigentlich immer wählen. Ja. Ich finde das auch wichtig", erklärt sie. "Ich kann mich doch nicht aufregen über Dinge, die mich belasten oder nur meckern und selbst nichts tun. Die Wahl ist doch meine einzige Chance und die Chance sollte ich auch nutzen. Ich gehe auf jeden Fall zu Wahl!"
Eigenes politisches Engagement, das ist nicht die Sache der Herzberger Altenpflegerin. Dazu bleibe wegen des Jobs keine Zeit, sagt Sibylle Rindt. Sie erwartet mit der Bundestagswahl Veränderungen in Deutschland - auch personell. Mehr will sie nicht sagen - und lächelt.