Interview - Migrationsforscherin: Immer mehr Personen haben weltweit Schutzbedarf
In Deutschland wird weiter über die Migrationspolitik beraten. Migrationsforscherin Judith Kohlenberger warnt vor einer Kettenreaktion in Europa, falls Deutschland an der Grenze Menschen zurückweist. Die Länder müssten zudem gleiche Standards für Asylsuchende schaffen.
Am Mittwoch haben sich Ländervertreter, Unionsvertreter und Regierung zum Migrationsgipfel getroffen. Aktuell wird auch über Zurückweisungen an Deutschlands Grenzen diskutiert. Ob die EU-Rechtskonform sind, ist umstritten.
"Ich bin nicht sicher, ob die handelnden Personen, die diese Pläne jetzt wälzen, sich bewusst sind, dass die Umsetzung tatsächlich sehr schwierig sein wird", sagt die Wiener Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. So habe etwa Österreich angekündigt, keine zurückgewiesenen Menschen aufzunehmen.
Außerdem sei noch nicht absehbar, welche Kettenreaktion auf europäischer Ebene ausgelöst werden. Schon seit vielen Jahren sei die Reisefreiheit im Schengenraum eingeschränkt, sagt die Forscherin und verweist auf Kontrollen an der österreichisch-deutsche Grenze: "Wir haben eigentlich gar nicht mehr diese offenen Grenzen, wo überhaupt nicht kontrolliert wird."
Grenzkontrollen helfen nicht gegen Schlepperindustrie
Die Grenzkontrollen haben aber laut Kohlenberger nicht zum Rückgang der Migration geführt und auch die Schlepperindustrie konnte demnach nicht nachhaltig bekämpft werden. Die Migrationsforschung belege: "Wenn sich eine Route schließt, dann öffnet sich sehr, sehr häufig eine andere. Meistens noch gefährlichere, meistens noch teurere."
Forscherin: Fluchtursachen nehmen zu
Nationale Alleingänge seien für eine gemeinsame europäische Migrationspolitik kontraproduktiv, so die Forscherin. Man müsse darauf hinwirken, dass alle Mitgliedstaaten menschenwürdige Unterbringungsstandards und zügige Entscheidungen in Asylverfahren schaffen, "weil dann - und das wissen wir - bleiben die geflüchtete Menschen auch in diesem ersten Ankunftsland."
Kohlenberger warnt vor Behauptungen, dass sich viele Menschen das Asylrecht erschleichen wollten. "Tatsächlich, wenn wir um uns blicken in der Welt, nehmen Fluchtursachen zu. Somit haben leider auch immer mehr Personen weltweit Schutzbedarf", so die Migrationsforscherin.