Soziologe Armin Nassehi (Bild: rbb/Freiberg)
Bild: Klaus Dieter Freiberg

10 Ideen - Das braucht Deutschland - Idee 3: Soziologe Armin Nassehi

Inforadio fragt kluge Köpfe: Was folgt aus diesen großen Veränderungen? Wie umgehen mit ihnen? Und das ist auch das wissenschaftliche wie gesellschaftspolitische Thema von Armin Nassehi. Der Sohn einer katholischen Schwäbin und eines Persers ist Soziologieprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und seit einigen Jahren Herausgeber der Zeitschrift "Kursbuch".

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Christian Wildt: Jetzt sind wir bei der anderen Seite. Sie haben das sehr positiv dargestellt. Die Gesellschaft scheint fähig zu sein, auch mit verschiedenen Haltungen an Probleme heranzugehen. Wir haben jetzt aber die Darstellung, dass viele sagen: Der Terrorismus hat unmittelbar mit dieser Flüchtlingsbewegung zu tun. Da sind Leute gekommen, die wir hier nicht haben wollen, die uns Gefahr gebracht haben. Und der Staat ist dafür verantwortlich, uns jetzt zu schützen an dieser Stelle. Da sind wir weg von diesem "on the ground"-Sein, da sind wir bei dem "man macht so oder so" - man macht die Grenzen zu, man schützt vor dem Terrorismus oder nicht.

Armin Nassehi
: Ich weiß nicht, ob die Kausalität so stimmt, dass sozusagen die Flüchtlingskrise oder die Flüchtlingssituation zu diesem Terrorismus geführt hat.

Christian Wildt
: Nein, aber so wird ja gedacht und so wird diskutiert im Moment.

Armin Nassehi
: So wird diskutiert und das ist das große Problem eigentlich und das liegt unter anderem auch daran, dass womöglich - und diesen Vorwurf muss man der Bundesrepublik womöglich machen - man sich um diese Sicherheitsfragen zu wenig gekümmert hat. Also wenn ich sehe, dass der Bundesjustizminister unmittelbar nach dem Anschlag auf einmal ganz andere Sätze über Sicherheitsmaßnahmen, über Sicherungsmaßnahmen, über Überwachungsmaßnahmen sagt als kurz vorher, dann ist das ja vielleicht doch ein Hinweis darauf, dass man manche Sachen vorher nicht so richtig ernst genommen hat. Ich glaube schon, dass ein Staat tatsächlich auch die Aufgabe hat, dieses Gefühl von Sicherheit wenigstens simulieren zu können. Also vollständige Sicherheit werden wir nicht herstellen können, aber sich um diese Dinge zu bemühen. Also meine Grundthese, ich vertrete das jetzt seit einigen Jahren, ist, und ich bin sozusagen der Migrationssituation sehr wohlwollend gegenüber, schon aus biografischen Gründen, aber nicht nur deswegen, würde ich sagen: Wir sind in Deutschland eigentlich nicht geübt darin, auch negative Einwanderungsfolgen angemessen zu diskutieren. Das überlassen wir leider Gottes den Falschen.

Christian Wildt: Es sind viele Fragen zu entscheiden und man hat das Gefühl, auch die Politik hoppelt dort hinterher. Geht Ihnen das nicht auch so? Und was soll der Bürger tun? Wie wird er eigentlich mitgenommen? Oder wie kann er sich artikulieren? Wie kann er womöglich sogar echten Einfluss nehmen?

Armin Nassehi: Nun als Bürger würde ich tatsächlich antworten und sagen: Vielleicht muss man in diesem Kulturkampf, von dem ich spreche, gerade aus der Perspektive sozusagen eines bildungsnahen, intellektuellen Wissenschaftlers, der aber auch ein Bürger ist, die Hochnäsigkeit ein bisschen fahren lassen. Und vielleicht auch sehen, dass es Lebensformen gibt, die anders funktionieren als Leute wie wir, die an Schreibtischen sitzen und sich am leeren Blatt Papier neue Welten erfinden können - denen sozusagen Abweichung etwas ist, was sie begrüßen, die daran gewöhnt sind, mit Pluralismus umzugehen. Vielleicht muss man das einfach ernstnehmen, dass es auch in modernen, komplexen, pluralistischen Gesellschaften Leute gibt, denen das Angst macht.
Und politisch, würde ich sagen, und auch im Alltag müsste man versuchen, Kommunikationsformen für diese Leute zu finden, die nicht populistisch sind. Aber die ernstnehmen, dass es sozusagen in der Fläche eine viel konservativere Lebensform gibt, als wir uns das vorstellen können. Konservativ heißt nicht, von der Stärke der Menschen auszugehen, sondern von der Schwäche der Menschen auszugehen. Ich finde das einen sehr sympathischen Gedanken übrigens, und ich würde mir wünschen, dass die politischen Kräfte, wie wir sie haben - vielleicht die Union den Konservatismus und die Sozialdemokratie die Idee des sozialen Aufstiegs - ein bisschen anpassen an eine moderne Gesellschaft: was das heute eigentlich heißen kann.

Christian Wildt: Was wäre denn wirklich nötig? Was ist denn ein Angebot, nicht von politischer Seite, sondern was Sie als erforderlich betrachten, damit diese Gesellschaft, wie auch immer sie verfasst sein mag, wie auch immer sie denken mag - unterschiedlich konservativ oder urban fortschrittlich - damit die gemeinsam weiterkommt?

Armin Nassehi
: Ich winde mich ein bisschen um Ihre Frage herum mit dem Gemeinsamen. Also ich glaube ehrlich gesagt nicht an so eine Idee von Gemeinsamkeit, aber woran ich schon glaube, das ist, Sprechformen zu finden, so ein Gegenüber wirklich ernst zu nehmen. Also wir haben im Moment doch so ein stabiles Konfliktsystem. Die einen sind die Bestätigung immer für die anderen. Und wenn es gelingt, vielleicht aus so einer linksliberalen Seite konservative Lebensformen wirklich ernst zu nehmen. Ernst zu nehmen heißt nicht: Ich finde richtig, was du sagst. Aber: Ich habe ein Gefühl dafür, dass ich mir vorstellen kann, warum eigentlich du im Moment in der Situation bist, dass du Angst vor etwas hast, wovor du eigentlich gar keine Angst haben müsstest. Dann wäre schon viel gewonnen, und dafür braucht man vielleicht sensibleres Sprechen. dDafür braucht man vielleicht manchmal leiseres Sprechen. Ich weiß, dass das in diesem Jahr natürlich schwierig sein wird, weil Wahlkampf ist, da wird etwas lauter gesprochen. Aber ich glaube tatsächlich, dass das ganz wichtig ist. Das hört sich unglaublich banal an, aber ich glaube, das kann jeder - hört sich jetzt auch wieder fast sozialpädagogisch an - in seinem Alltag selber ausprobieren. Das kann man in den Schulen machen, das kann man in den Betrieben machen, das kann man in Familien machen, das kann man in politischen Parteien mache. Und man muss womöglich auch mit den "Schmuddelkindern" mal reden, um rauszukriegen, wie die eigentlich ticken. Weil, das sind ja auch nicht alles nur böse Menschen, sondern sie kommen aus Lebenslagen, in denen diese Sätze auf einmal funktionieren.

Christian Wildt
: Herzlichen Dank, Professor Armin Nassehi.

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2 Kommentare

  1. 2.

    Das Grundproblem: „Wir haben im Moment ein stabiles Konfliktsystem - die einen sind die Bestätigung immer für die anderen. Wenn es gelingt, von linksliberaler Seite her, konservative Lebensformen wirklich ernst zu nehmen, dann wäre schon viel gewonnen. Dafür braucht man sensibleres Sprechen. Man muss womöglich auch mit den "Schmuddelkindern" reden, um rauszukriegen, wie die eigentlich ticken. Das sind ja nicht alles böse Menschen.“

  2. 1.

    Danke für diesen ausgewogenen und fairen Beitrag, Hr. Nassehi. Sie bemühen sich beide Seiten des Konfliktes zu betrachten und beziehen auch die Schmuddelkinder vom Land mit ein. Wer sich verstanden und ernst genommen fühlt, der braucht nicht mehr auf die Barrikaden steigen. Dieser Einsicht folgen die Leitmedien nur widerwillig und vieles erhält erst Geltung, wenn es jemand mit Migrationshintergrund sagt. So können sie zu einem dringend benötigten Mediator und Brückenbauer für beide Seiten werden

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