Kölns Sozialdezernentin Henriette Reker (Bild: dpa)
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Überforderte Städte - Kein Platz für Flüchtlinge? - "Was sollen wir tun?"

Kölns Umgang mit Flüchtlingen galt als vorbildlich. Heute herrscht in der Stadt der Notstand. Wie konnte das passieren? Ein Gespräch mit der Sozialdezernentin Henriette Reker. Von Philip Faigle - ein Gastbeitrag von ZEIT ONLINE.

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ZEIT ONLINE: Warum ist die Stadt derart unvorbereitet?

Reker: Es stimmt: Wir hätten uns besser vorbereiten können, vielleicht sogar müssen. Köln hatte schon einmal ähnlich hohe Flüchtlingszahlen, und zwar Anfang des Jahrhunderts. Dann gingen die Zahlen rapide runter. Die Stadt hat daraufhin rund 30 Einrichtungen geschlossen, darunter auch einige marode, die uns heute nicht helfen würden. Auch andere Städte haben nicht auf Vorrat gebaut. Dennoch: Einige Schließungen waren im Rückblick ein Fehler.

ZEIT ONLINE: Köln hatte sich ursprünglich vorgenommen, möglichst viele Flüchtlinge in dezentralen Wohnungen unterzubringen. Warum geht das nicht mehr?

Reker: Aus mehreren Gründen. Viele Flüchtlinge haben keinen Wohnberechtigungsschein, wir können sie also nicht im sozialen Wohnungsbau unterbringen. Generell sind Wohnungen in Köln extrem knapp und auch der soziale Wohnungsbau erzielt nicht die Ergebnisse, die wir uns wünschen. Köln ist eine schnell wachsende Stadt, eine Universitätsstadt, es kommen Menschen hierher, die studieren und arbeiten wollen. Sie konkurrieren mit den Flüchtlingen um Wohnraum.

Rund 70 Unterkünfte hat die Stadt in den vergangenen Jahren aufgebaut. Viele von ihnen sind provisorisch. Zwar hat die Stadt im vergangenen Jahr immerhin 250 Flüchtlinge in Wohnungen vermitteln können – etwa doppelt so viel wie in Hamburg. Doch die einstmals hoch gesteckten Ziele, die Flüchtlinge in kleinen dezentralen Wohnungen zu beherbergen, erfüllt die Stadt schon lange nicht mehr. Auch der Kölner Flüchtlingsrat sieht die Not der Stadt und gibt zu, dass die Belastungen gewaltig sind. Er kritisiert jedoch, dass die Stadt mittlerweile selbst einfache Standards bei der Unterbringung radikal unterläuft.

Anders als in anderen Kommunen gibt es in Köln für besonders schutzwürdige Personen – etwa Minderjährige oder Behinderte – keine gesonderte Behandlung – so die Kritik des Flüchtlingsrates. Auch ist die Zahl der Betreuer in den Flüchtlingsheimen skandalös niedrig. Die Stadt argumentiere nach einer Notstandslogik, dabei drohten die Probleme zu einem Dauerzustand zu werden. "Bis heute gibt es keinen Masterplan", heißt es beim Flüchtlingsrat.

Reker hat auf die Kritik bisher mit bemerkenswerter Chuzpe reagiert. Als der örtliche Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki den Zustand einiger Flüchtlings-Unterkünfte der Stadt kritisierte, konterte Reker, anders als der Kardinal habe sie zu verantworten, "dass Menschen ein Dach über den Kopf bekommen."  Für Reker geht es auch um ihre Karriere in der Politik. Im September will sie Oberbürgermeisterin werden, als freie Kandidatin und gegen die etablierten Kandidaten der SPD.

ZEIT ONLINE: In Interviews sagen Sie derzeit immer wieder: "Tempo geht vor Qualität". Was sind die Nebenwirkungen einer solchen Strategie?

Reker: Ich würde nicht von einer Strategie sprechen. Wir lösen gerade ein akutes Problem.

ZEIT ONLINE: Glaubt man dem Flüchtlingsrat, ist eine Nebenwirkung, dass die Zustände in den Unterbringungen zum Teil "menschenunwürdig" sind. Was antworten Sie darauf?

Reker: Sehen Sie: Ich halte die Kritik zum Teil für berechtigt. Ich würde das alles sehr gerne anders machen.  Aber der Flüchtlingsrat hat seine Rolle und ich habe meine. Ich muss dafür sorgen, dass wir überhaupt genug Betten organisiert bekommen. Das ist gerade schon eine gewaltige Herausforderung. Unsere Mitarbeiter arbeiten mit viel Herzblut an Lösungen – aber wir müssen täglich erleben, wie die Belastung für die Stadt steigt.

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Themenschwerpunkt - Überforderte Städte - Kein Platz für Flüchtlinge?

Deutsche Großstädte sind von den hohen Flüchtlingszahlen besonders betroffen. Nach einer gemeinsamen Recherche von Inforadio und ZEIT ONLINE in den Städten Berlin, Hamburg und Köln gibt es derzeit keine Lösungen, wie Flüchtlinge schnell und angemessen untergebracht werden können. Berlins Integrationssenatorin Kolat räumte ein, dass es schwierig sei, im selben Tempo neue Unterkünfte zu errichten, wie die Zahl der Flüchtlinge wachse. Sozialsenator Czaja sieht in der Hauptstadt allerdings durchaus Fortschritte bei der Unterbringung von Flüchtlingen.