Historisches Tagebuch aus dem Jahr 1938
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Vis à vis - 80 Jahre Kriegsende: Was erzählen uns Opas Tagebücher?

Auch 80 Jahre nach Kriegsende findet man noch "Opas Tagebücher". Ob sie wirklich eine Antwort darauf geben, wie die Großeltern zum Nationalsozialismus standen, erklärt Historiker Janosch Steuwer. Von Miriam Freudig

Darüber, wie sich die eigenen Großeltern während der Nazi-Herrschaft verhalten und positioniert haben, wird in Familien oft nicht offen gesprochen. Mehr Aufschluss geben da manchmal die Tagebücher jener Großeltern. Janosch Steuwer ist Historiker an der Universität zu Köln und am NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und hat sich mit diesen Dokumenten beschäftigt.

Was diese Tagebücher ausmache und als historische Quelle sehr interessant mache, sei der Umstand, "dass sie eben die Vergangenheit nicht schon sortiert zeigen, vor allem nicht nach unseren Kriterien sortiert: Was ist das Politische, was das Private, was ist das Wichtige, was das Unwichtige und so weiter." Man werde in eine Gegenwart gestoßen, in der die Dinge noch gemischt und im Gemenge lägen.

Historiker: Tagebücher geben oft mehr Fragen zurück als Antworten

Tagebücher seien insgesamt dadurch gekennzeichnet, "dass sie uns häufig mehr Fragen zurückgeben und uns darüber auffordern, darüber nachzudenken, was irritiert uns hier eigentlich so, als dass sie uns so ganz klare Antworten auf bestimmte Fragen geben", so der Historiker.

140 Tagebücher aus dem Zeitraum zwischen 1930 und 1939 hat Steuwer für sein Buch "Ein Drittes Reich, wie ich es auffasse" ausgewertet. Die Autoren hätten teilweise ganz unterschiedliche Positionen zum Nationalsozialismus eingenommen: "Es gibt Tagebuchautoren, die sind sehr kritisch, es gibt Funktionäre des NS-Regimes, es gibt Verfolgte, die Gewalt erleiden."

Alle Tagebuchautoren eint die Frage: Wie verhalte ich mich zum neuen Regime?

Was sie dennoch alle miteinander verbinde, sei die Frage aller Autoren: "Wie verhalte ich mich jetzt zum neuen Regime? Wo positioniere ich mich zum Nationalsozialismus." Dort könne man sehen, so der Historiker, dass unsere Sicht auf das Problem lediglich die politische Seite beachte, nicht aber die biographische für jeden Einzelnen.

Die Menschen hätten vor dem Problem gestanden: "Was heißt das jetzt, wenn ich mich zum Nationalsozialismus bekenne? […] Wie fügt sich das ein in mein bisheriges Leben, also in die eigenen Vorstellungen, die ich für meine Biographie hatte und meine bisherigen politischen Ansichten. […] Wie kann ich erklären, dass ich trotzdem noch die gleiche Person geblieben bin, auch wenn ich jetzt den Nationalsozialismus unterstütze?"

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