Vis à vis - Warum Christoph Turowski einer psychisch Erkrankten zum Tod verhalf
Das Landgericht Berlin hat den Arzt Christoph Turowski wegen Sterbehilfe zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der 74-Jährige wurde wegen Totschlags schuldig gesprochen, weil er einer 37-jährigen, schwer depressiven Frau beim Sterben geholfen hat. Im Vis à vis spricht Turowski über diese Sterbebegleitung. Von Ulf Morling
Das Landgericht Berlin hat den Arzt Christoph Turowski wegen Sterbehilfe zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der 74-Jährige hatte einer 37-jährigen Patientin eine tödliche Infusion zur Verfügung gestellt, die sie sich selbst verabreichte. Die Frau war an einer schweren Depression erkrankt. Aus Sicht des Gerichts war die Frau wegen ihrer Krankheit nicht zur freien Willensbildung in der Lage. Der Mediziner habe die Grenzen des Zulässigen überschritten. Turowski wurde wegen Totschlags verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Arzt hat bereits angekündigt, dass er in Revision geht.
Über das Internet sei die 37-Jährige auf ihn aufmerksam geworden und habe ihn angeschrieben, erklärt Turowski. "Wir kamen dann in Kontakt und hatten ein langes Erstgespräch von über eineinhalb Stunden." Darin habe die Frau ihm ihre Not geschildert, dass sie seit ihrem 21. Lebensjahr in einer tiefen depressiven Krise stecke und weder verschiedene Therapien noch Medikamente ihr hätten helfen können.
Sterbehilfe nur für psychisch gesunde Menschen
Die Frau sei sich im Klaren darüber gewesen, dass ihre Krankheit sie ein Leben lang begleiten werde. Weil ihre depressiven Phasen immer intensiver wurden und in immer kürzeren Abständen kamen, habe sie ihre Krankheit nicht länger erdulden und ihr Leben beenden wollen, so der Mediziner. "Sie hat gesagt, sie kann nicht mehr, jeder Tag ist eine Qual."
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 entschieden, dass jeder Erwachsene, der zu einer freien Willensbildung fähig sei, das Recht auf einen selbstbestimmten Tod habe. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts gilt jedoch nicht für psychisch schwer erkrankte Menschen, weil die Karlsruher Richterinnen und Richter ihnen kein uneingeschränktes Urteilsvermögen beimessen.
Für Turowski ist diese Einschätzung falsch. "Ich finde, das ist ein Unding, […] einer Frau in einer depressiven Situation, die Entscheidungsfähigkeit einfach abzusprechen." Alle Psychiater, die in den Fall der Frau involviert waren, hätten ihr abgesprochen, für ihren Sterbewunsch entscheidungsfähig zu sein. Der Mediziner sieht hier ein Dogma, bei dem nicht mehr ausreichend begründet wird, warum ein Mensch entscheidungsfähig ist, oder nicht.
Wieviel zählt die Einschätzung des behandelnden Arztes?
Trotzdem habe er sich die Entscheidung, die Frau in ihrem Sterbewunsch zu begleiten, nicht leicht gemacht, erklärt der Mediziner. "Ich habe sie gedrängt, dass wir die Freitodbegleitung über eine Sterbehilfeorganisation machen." Das habe die Frau jedoch kategorisch abgelehnt. Auch ein weiteres psychiatrisches Gutachten und einen Fürsprecher aus ihrem Umfeld habe sie nicht gewollt, so Turowski.
"Dann war ich in der Konfliktsituation, lasse ich sie laufen und sie knüpft sich auf in ihrem Badezimmer, oder verhindere ich das, indem ich ihr helfe, auf eine friedliche, humane Art ihr Leben zu beenden." Als Hausarzt mit 30-jähriger Berufserfahrung habe er sich zugetraut, diese Entscheidung auch ohne Hinzuziehung eines weiteren Psychiaters zu treffen.