100 Sekunden Leben - Nüchtern ist auch keine Lösung
Unser Kolumnist Thomas Hollman hat sich am Vatertag nicht betrunken. Jetzt überlegt er, ob das ein Fehler war.
Ich habe gestern Abend zum Krimi ein Bier getrunken. Das war’s. Kein Bollerwagen, kein hoch die Tassen, kein Nix. Dabei war ich früher dem rituellen Betrinken nicht abgeneigt. Aber jetzt reicht mir eine Pulle vor der Glotze.
Wobei das Bundesgesundheitsministerium sagt: Jede Form des Alkoholkonsums ist schädlich. Also auch schon die Flasche gestern. Da frage ich mich allerdings, ob eine stets nüchterne Gesellschaft wirklich erstrebenswert ist? Ich habe da meine Zweifel. Und die Kirche wohl auch. Waren es doch die Mönche, die aus dem Bierbrauen und dem Weinanbau eine Kunst gemacht haben. Vermutlich weil der Alkohol ähnlich rauschhaft wirkt wie die Religion.
Okay, vom Beten kriegt man keine Leberzirrhose. Aber man muss sich ja nicht gleich total besaufen. Ein bisschen reicht mitunter schon, um der Vernunft davon zu hicksen.
Natürlich kann man sich die Ratio auch ohne Alkohol austreiben. Im Fußballstadion beispielsweise. Oder im Swingerklub. Aber die haben nicht immer auf, die Stadien und die Swingerklubs. Und wir Deutschen wollen uns offensichtlich auch mal zwischendurch entgrenzen. Deshalb belegen wir in der internationalen Alkoholkonsum-Tabelle auch traditionell einen vorderen Platz. Was insofern komisch ist, hält man uns Deutsche doch für ein kontrolliertes Völkchen, während die wesentlich abstinenteren Italiener das Ausgelassene und Impulsive verkörpern. Das ist doch ungerecht.
Bleibt die Frage, warum ich mich am Vatertag nicht betrunken habe, sondern nach dem einem Bier gleich ins Bett bin. Nun, der Krimi war zu Ende. Und ein bisschen Angst hatte ich wohl auch, nach einem weiteren Bier ständig rauszumüssen in der Nacht.