100 Sekunden Leben - Onkel Doktor gibt’s nicht mehr
In Leipzig läuft der Deutsche Ärztetag. Eins der großen Themen dort: Das von der Koalition geplante "Primär-Arzt-Prinzip". Wer zum Facharzt will, müsste dann fast immer erstmal zum Hausarzt. Kolumnistin Doris Anselm stellt das vor Probleme.
Ich habe seit 23 Jahren keinen Hausarzt mehr. Dafür bin ich auch zu oft umgezogen. Es gibt ihn also für mich nicht, diesen ach-so-vertrauten, guten alten Onkel Doktor, der mich umfassend kennt, mit all meinen Beschwerden. Ich frage mich auch, ob dieses Hausarztbild, das uns das Primärarztprinzip jetzt schmackhaft machen soll, womöglich etwas naiv ist.
Ich kenn nämlich Leute, die haben versucht, ihren Hausarzt zu behalten. Die Praxis ging durch mehrere Hände, zog um, wurde zusammengelegt, zwischendrin flog man auch mal aus der Kartei, mit sämtlichen Daten, huups. Das Vertrauen war ebenfalls nicht immer gleich gut.
Letzteres ging mir auch schon mit vielen Ärzten so. Es ist bekannt, dass beispielsweise Frauen mit typischen Frühsymptomen eines Herzinfarkts vom Hausarzt seltener zum Kardiologen überwiesen werden als Männer, UND DASS FRAUEN DARAN STERBEN. Da wird mir doch beim Thema "Hausarzt als Gatekeeper" leicht unwohl.
Ja, aber, in Skandinavien und den Niederlanden funktioniert das Primärarztprinzip wunderbar, heißt es dann. Nennt mich kleinlich, aber kann es sein, dass die Gesundheitssysteme dort auch ansonsten anders sind und man das nicht so gut vergleichen kann?
Übrigens: Soweit ich mich eingelesen habe, sind überwiegend die Hausarzt-Verbände FÜR das Hausarztprinzip und die Facharztverbände DAGEGEN. Hä? Das heißt doch, beide wollen, dass die Patienten erstmal zu ihnen kommen. Und das trotz Überlastung? Da scheint mir doch einiges intern noch nicht so ganz geklärt. Aus Protest gegen das Ganze begebe ich mich jetzt direkt mit meinen Halsschmerzen zum Urologen.