100 Sekunden Leben - Diplomatische Gesetzlosigkeit
Botschaftsmitarbeiter halten sich in Berlin offensichtlich immer weniger an die Verkehrsregeln. Die Zahl der Falschparker, Raser und Unfallverursacher ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen – auf mehr als 18 000 Verkehrsdelikte. Das berichtet der Tagesspiegel. Folgen müssen die Autofahrer nicht fürchten; ihr Diplomatenstatus schützt sie. Und das wiederum droht unseren Kolumnisten Thomas Hollmann in die Illegalität zu treiben.
Eigentlich bin ich ein gesetzestreuer, zu keinen Überreaktionen neigender Mensch und Verkehrsteilnehmer. Sehe ich aber ein Auto mit einem Null-Nummernschild, verwandele ich mich in einen wütenden Outlaw. Steht die Diplomatenkarre doch wahrscheinlich in zweiter Reihe oder gleich ganz auf dem Fahrradweg, um diesen für Stunden zu blockieren. Ist Diplomatens doch essen oder einkaufen, vielleicht brauchen die Kinder auch ein neues Handy.
Vollkommen egal ist das, warum die Nullnummer im Halteverbot steht, wandert die Anzeige doch direkt in den Papierkorb. Der Botschafter darf auch mit 80 durch die Fußgängerzone brettern und dabei einen Rentner umnieten. Folgen hat das für ihn keine, nur für den Rentner. Und weil ich das alles weiß und mir beinahe täglich ein absichtlicher, wie folgenloser Rechts- und Regelbruch auf den Straßen dieser Stadt vorgeführt wird, drehe ich so durch.
Und das ist nicht gesund, merke ich. Da verspanne ich, wenn ich andauernd wütend werde und die Wut nirgendwo hinkann. Weshalb es therapeutisch vermutlich das Beste wäre, ich würde mal den Außenspiegel einer Botschafterlimousine abtreten. Das könnte mich etwas auflockern. Aber nachher sitzt noch jemand drin im Auto und der jagt mir dann mit diplomatischer Immunität hinterher. Und damit ist mir auch nicht geholfen, wenn das Auto keinen Außenspiegel mehr hat, ich dafür aber unter dem Auto liege und im Falle eines Überlebens für den abgetretenen Außenspiegel haftbar gemacht werde von einem Menschen, für den keine Gesetze gelten.
Das ist alles schon frustrierend und ungerecht. Zumal deutsche Diplomaten im Ausland vermutlich artig ein Ticket ziehen, bevor sie irgendwo parken.