Demonstrant hält eine Wassermelonenscheibe hoch als Zeichen der Solidarität mit den Palästinensern
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100 Sekunden Leben - Die Melone kann gar nichts dafür

Die Wassermelone ist als Symbol für Palästina eine echte Streit-Frucht geworden. Zuletzt warb ein israelisches Restaurant in Berlin für einen Shake aus, Zitat: "zerhackstückelter" Wassermelone. Der Eklat folgte. Kolumnistin Doris Anselm tut das von allen Seiten vereinnahmte Obst langsam leid.

Das Friedlichste, was man zurzeit über die Wassermelone erzählen kann, ist ein alter Witz von Hape Kerkeling: Der kommt in einem Sketch in eine Bäckerei und fragt nach Törtchen von "geeister Wassermelone mit ganzen Früchten". Vielleicht könnten sich auf diese Zubereitungsart ja sogar Israelis und Palästinenser einigen. Da wird die Melone wenigstens nicht "zerhackstückelt", wie es jetzt auf dem umstrittenen Plakat eines israelischen Restaurants zu lesen war.

Rund um das palästinensische Symbol-Obst herrscht eine heftige Übersensibilität. Fruktoseintoleranz ist gar kein Ausdruck (und als Ausdruck ja auch schon vergeben). Klar: Die Menschenleben in Nahost sind wirklich die größere Sorge – aber irgendwie sehe ich dem herannahenden Berliner Sommer jetzt auch etwas bang entgegen. Wie soll das werden am See? Einer Vier-Kilo-Wassermelone kommt man mit politischem Fingerspitzengefühl nun mal nicht bei. Da braucht man lange Messer. Aber allein dieser Satz klingt inzwischen nach bösen, versteckten Botschaften. Ich möchte kapitulieren!

Dabei bin ich den Umgang mit Problem-Obst durchaus gewohnt. Lange Jahre, als junge Frau in einer sexistischen Gesellschaft, hätte ich Bananen in der Öffentlichkeit am liebsten mit Messer und Gabel verzehrt, wegen der männlichen Blicke. Das war nur kurz nach der Zeit, in der die Polizei Wassermelonen benutzte, um uns Kindern die Vorteile von Fahrradhelmen zu demonstrieren. "Schütz Deine Melone!" war damals der Tenor.

Wir Deutschen werden im Ausland ja auch gern liebevoll "Kartoffeln" genannt. Und ja: Ich wäre auch empfindlich, wenn zum Beispiel Donald Trump uns erst als neuen US-Bundesstaat anwerben wollte, um nach der Absage plötzlich über completely crushed Kartoffelstampf zu fantasieren. Es kommt eben alles auf den Kontext an.

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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.