Mann pfeift ein Lied
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100 Sekunden Leben - Ich Pfeife

Kolumnist Thomas Hollmann fragt sich, warum er kein Instrument spielen kann, dafür aber anderweitig melodiös ist.

Jeder Mensch hat ein Talent. Heißt es. Ich bin da nicht so sicher. Auf der anderen Seite: Pfeifen kann ich. Auch nachpfeifen: Ich höre ein Lied im Radio und flöte simultan. Dies ist insofern erstaunlich, weil ich ansonsten ein musikalischer Totalausfall bin. Beim Schlagzeug hat’s mit dem Takt nicht geklappt, beim Saxophon haperte es mit dem Rest. Notenlesen ist für mich wie Chinesisch lesen. Und wenn ich den Müll runterbringe und dabei singe, jault der Hund des Nachbarn hinter der Tür. Aber pfeifen, pfeifen kann ich.

Nun will ich mich hier nicht unnötig phänomenalisieren. Aber Heiner Gembris habe ich trotzdem angerufen. Der Mann war viele Jahre Professor für Empirische Musikpädagogik an der Universität Paderborn und ist noch immer so etwas wie der deutsche Papst hörbarer Talente. Und Professor Gembris sagt: Mein Pfeif-Vermögen ist womöglich eine Inselbegabung.

Nicht schlecht, dachte ich zuerst. Aber irgendwie hört sich das auch einsam an - Inselbegabung. Wie ein flötender Robinson Crusoe. Dabei ist Pfeifen ein altes wie bewährtes Kommunikationsmittel. Bergvölker praktizieren das seit Jahrtausenden. Okay, inzwischen nicht mehr so häufig. Wenn das Essen auf dem Herd steht, kann das Kind auch mit dem Handy gerufen werden. Da muss man nicht übers weite Tal schrillen.

Auf Gomera wird die inseleigene Pfeifensprache dennoch in der Schule unterrichtet. Weshalb die Unesco die Silbo Gomero auch zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt hat. Und beinahe fühle ich mich auch schon wie ein Kulturattaché. Obwohl es in Berlin gar keine Berge gibt – und ich Saxophon eigentlich viel schöner finde.

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100 Sekunden Leben
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100 Sekunden Leben

Doris Anselm, Thomas Hollmann, Wlada Kolosowa, Sebastian Schiller, Hendrik Schröder und Ebru Taşdemir betrachten mit einem schrägen Seitenblick Phänomene aus ihrem analogen und virtuellen Leben.