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100 Sekunden Leben - Kunst kaufen ist auch keine Lösung

An diesem Freitag fallen in Berlin viele Corona-Beschränkungen weg. Aber unser Kolumnist Thomas Hollmann hat keine Lust, die wiedergewonnene Freiheit zu nutzen. Und auch mit teurer Kunst mag er sich nicht ablenken.

Ich könnte tanzen gehen. Discos dürfen ab heute wieder aufmachen. Aber ich fürchte, ich habe das Tanzen verlernt. Außerdem reagiere ich auf Menschenaufläufe allergisch. Aber daran ist womöglich weder Corona noch Putin Schuld. Mein Heuschnupfen wird auch immer schlimmer.

Letztens habe ich mich immerhin mal wieder ins Kino getraut. "Licorice Pizza". Ein süßer 70er-Jahre-Film. Aber im Nachhinein umso deprimierender. Denn dass die Welt eine bessere wird, ist bekanntlich ein Irrglaube.

Aber vielleicht ist ja Kunst ein Ausweg. Also, richtig teure Kunst. Das Auktionshaus Grisebach hat mich zur Sommerauktion eingeladen. Vor ein paar Jahren hatte ich mich dort mal als Reporter eingeschlichen und seitdem kriege ich den Katalog.

Emil Noldes "Christina" ist auf dem Titel. Schätzpreis: 400 bis 600 000 Euro. Ich könnte Grisebach eine Mail schicken und mich aus dem Verteiler streichen lassen. Aber irgendwas hält mich davon ab. Wahrscheinlich Großmannssucht.

Vielleicht handelt es sich aber auch um ein gesellschaftliches Phänomen, zu Kreisen dazugehören zu wollen, zu denen man nicht gehört. Bei den Quiz-Shows im Vorabend-Fernsehen sitzen auch ständig Leute, die nichts wissen. Und ich täusche halt vor, Geld zu haben.

Die Auktion im vergangenen Sommer habe ich leider verpasst. Da hätte ich Rainer Fettings "Mauer am Südstern" für 170 000 Euro ersteigern können. Was im Vergleich zu Noldes "Christina" ein Schnäppchen gewesen wäre. Aber ich hätte wahrscheinlich nicht mitgeboten. Denn die Mauer stand ja gar nicht am Südstern.