Das Fahrrad von Thomas Hollmann im Zugbegleiter-Abteil
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100 Sekunden Leben - Ein Weihnachtsmärchen auf Gleisen

Auf Reisen kann man was erleben. Und auf Bahnreisen erst recht. Aber auch das größte Chaos hat sein Gutes, hat unser Kolumnist Thomas Hollmann festgestellt.

Ich fahre eigentlich gerne mit der Bahn. Die Landschaft schaukelt an einem vorbei, und für 2500 Bonus-Punkte kriegt man einen Fön. Leider kriegt man aber auch manchmal eine Mail. "Ihre Fahrt nach Berlin-Hauptbahnhof fällt aus", stand in meiner. Bin ich gleich hin zum Bahnhof, mit dem Fahrrad, das ich dabeihatte. "Kein Problem", meinte die Frau am Schalter. Mit der Regionalbahn nach Osnabrück, dort käme dann auch gleich der ICE nach Berlin. "Und da ist auch noch Platz im Fahrradabteil, hier Ihre Reservierung."

Am Bahnsteig in Osnabrück standen die Leute in Dreier-Reihen. Nicht nur der Zug aus Amsterdam war ausgefallen, sondern auch der aus Köln. Zum Glück habe ich eine Reservierung, dachte ich. Bis der ICE einfuhr und ich im Wagen 21 das Fahrradabteil suchte, das nicht da war.

Ich bin trotzdem dringeblieben. Fiel das Rad doch kaum auf. Glaubte ich. Bis eine Frau rief: "Wem gehört das Fahrrad?". In Hannover müsse ich raus, meinte die Zugbegleiterin. Mein Hinweis, dass ich doch eine Reservierung für diesen Zug hätte, konterte der zur Verstärkung erschienene Kollege mit der Feststellung, dies sei der Ersatzzug für den Ersatzzug, da gelte keine Reservierung. Und auch meine flehentliche Bitte, die besonderen Umstände zu berücksichtigen, wurde abschlägig beschieden. "Hannover" sagten der Mann und die Frau im Chor.

Ich weiß nicht, ob mich mein Lebensmut derart offenkundig verließ, dass sich die beiden um meine Gesundheit sorgten. Jedenfalls forderte die Frau mich auf mitzukommen. Neben der Toilette blieben wir stehen. Sie schloss die Tür des Zugbegleiter-Abteils auf und fragte: "Passen Sie da mit Ihrem Rad rein?".

Und so überraschend endet dieses wahre vorweihnachtliche Märchen: als blinder Fahrrad-Passagier, der zwischen Hannover und Berlin den Glauben an das Gute im Menschen wiederfand. Kein schlechtes Wort mehr über die Bahn.