Eva Fanselow (Bild: Inforadio/Bergemann)
Bild: Inforadio/Anneliese Bergemann

17. Juni 1953 - "Das war das A und O, dass man frei sein wollte"

Eva Fanselow war Mitte 20, als Zehntausende in Ost-Berlin für mehr Freiheit und bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen auf die Straße gingen. Beim Anblick der Panzer sei ihr schon ganz schön mulmig geworden ...
Eva Fanselow, Jahrgang 1928, sitzt am Esstisch in ihrer Stahnsdorfer Wohnung. Seit gut zehn Jahren lebt sie hier, ist nach dem Tod ihres Mannes in die Nähe ihrer Kinder gezogen.

Eva Fanselow kommt aus einer christlichen Familie, die dem DDR-Regime kritisch gegenüberstand. Weil sie RIAS hört, ist sie über die Ereignisse Anfang Juni 1953 informiert. Ihr Vater hatte sie am 17. Juni ermahnt, sich zu mäßigen und heil von der Arbeit nach Hause zu kommen. "Das hatte ich eigentlich auch vor, aber als man dann zur Firma kam und die Stimmung so war – da war das vergessen,“ erzählt sie 60 Jahre später.

Und so ist Eva Fanselow mittendrin im Geschehen. Noch heute ist sie fassungslos, dass der Werkschutz des HF-Werks für Fernmeldetechnik damals die Tore nicht öffnen wollte. Die Menge drückte gegen das Tor und sie war empört über die Unmöglichkeit rauszukommen.

Schließlich gibt der Werkschutz doch nach, und mehrere tausend Mitarbeiter machen sich auf den Weg Richtung Innenstadt, rund 15 Kilometer weit entfernt. Am frühen Nachmittag kommen sie am Potsdamer Platz an und da waren auch schon die Panzer: "Da war schon keine geordnete Demonstration mehr, die richteten ihre Rohre auf die Menge- da hat man schon Angst gekriegt.“

"Ich halte meinen Mund nicht"

Eva Fanselow bringt sich zusammen mit einem Kollegen erst einmal in West-Berlin in Sicherheit, in Kreuzberg sei von dem Aufstand nichts zu spüren gewesen. Alle waren erstaunt, dass hier das ganz normale Leben weiter ging und von den Ereignissen im Osten nichts herüberschwappte. "Wir haben da, weil ich zufällig ein bisschen Westgeld mithatte, noch was getrunken und sind dann nach Hause gefahren.“

Zu ihrer eigenen Überraschung hat sie keinerlei Probleme, die Grenze von Neukölln nach Treptow zu passieren. Am nächsten Tag ist die Stimmung im Betrieb am Boden, jeder war sehr deprimiert- auch wenn keiner die Folgen absehen konnte, so Fanselow. "Man hatte doch das Eingreifen der Amerikaner erwartet, ohne an die Folgen, die das vielleicht gebracht hätte, zu denken."

Mehrere Kollegen von Eva Fanselow wurden verhaftet, kommen später wieder frei. Sie selbst verlässt 1955 die DDR - der Liebe wegen, lebt fast 50 Jahre in Bayern.

Auch nach ihren Erfahrungen vom 17. Juni bleibt sie politisch aktiv, unter anderem im kirchlichen Widerstand gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Für sie ganz selbstverständlich: "Also, ich halte meinen Mund nicht!“

Anneliese Bergemann

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17. Juni 1953: Von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzte Panzer zur Niederschlagung der Unruhen in der Schützenstrasse - Quelle: Bundesarchiv

60 Jahre nach dem Aufstand - 17. Juni: Die Inforadio-Zeitzeugen erzählen

60 Jahre nach den Ereignissen erinnert Inforadio in Zusammenarbeit mit der rbb Abendschau und Brandenburg Aktuell an den 17. Juni 1953. Wir haben die Hörer und Zuschauer aufgerufen, uns ihre Geschichten und Erinnerungen zu erzählen. Zu hören sind diese vom 10.-15. Juni im Inforadio und zu sehen abends in der Abendschau und bei Brandenburg Aktuell um 19.30 Uhr im rbb Fernsehen.