Peter Carow (Bild: Peter Carow)
Bild: Inforadio/ Peter Carow

17. Juni 1953 - Kriegsangst eines Neunjährigen

Peter Carow war neun Jahre alt und wohnte in direkter Nähe zur Berliner Stalinallee, als im Juni 1953 die Proteste losgingen. Neela Richter ist mit ihm an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt.
Peter Carow war neun Jahre alt und wohnte in direkter Nähe zur Berliner Stalinallee, als im Juni 1953 die Proteste losgingen. Neela Richter ist mit ihm an den Ort seiner Kindheit zurückgekehrt.
Mächtig ragen die Türme des Frankfurter Tors in Berlin-Friedrichshain in den Himmel. Die ehemalige Stalinallee hat sich verändert, sagt Peter Carow. "Natürlich war alles anders damals. Der Platz hier drüben, wo dieses Haus steht, war frei. Da haben wir Fußball gespielt.“

Peter Carow ist genau hier aufgewachsen. Am 16. Juni 1953 steht der damals Neunjährige auf der Straße und staunt über die demonstrierenden Bauarbeiter. Doch dann "packt“ ihn seine Mutter, erinnert sich der heute 69-Jährige und macht eine entsprechende Handbewegung, während er die große Kreuzung an der Frankfurter Allee überquert. "Ich habe das gar nicht verstanden. Ich wusste gar nicht, warum sie so aufgeregt ist."

"Es gibt Krieg!"

Zu Hause, in der Grünberger Straße 37, wo Carow mit der Mutter und den beiden älteren Brüdern wohnt, empört sich die Mutter: "Das gibt Krieg! Haben die noch nichts gelernt? Schlagen die sich wieder die Köpfe ein!“

Doch der große Bruder beruhigt: "Es gibt keinen Krieg“, sagt der. "Wir können uns doch nicht alles gefallen lassen!" Der Bruder sei "in dieser Richtung“ damals schon "weiter“ gewesen, meint Carow heute.

Panzer rollen

Am nächsten Tag spielt Peter Carow vor dem Haus, als sich in der nahen Stalinallee einer der vielen Protestzüge in Richtung Innenstadt aufmacht. Ab 13 Uhr verhängen die Sowjets den Ausnahmezustand über Ost-Berlin. Es muss Nachmittag sein, als die Erwachsenen das Kind Peter plötzlich in den Hauseingang drängen.

"Dann sah ich mit einem Mal hier Panzer und Autos der sowjetischen Armee lang fahren. Kein Mensch war auf der Straße. Alle standen in den Hauseingängen.“ Als sie Panzer weg waren, kamen die Menschen hervor – und die Kinder spielten weiter, sprachen, standen rum. "Nicht so sehr beeindruckt“, erinnert sich Carow.

Doch plötzlich hört man Schüsse vom nahen Boxhagener Platz.

Es fließt Blut

Ein Krankenwagen bringt eine Frau in die Poliklinik zwei Häuser weiter. Die Frau trägt hautfarbene Strümpfe, die in Fetzen runterhängen. "Das Blut troff bis hier in den Eingang rein“, sagt Peter Carow. Die Sanitäter berichten dann seiner Erinnerung nach Folgendes:

"Die Russen sind zum Boxhagener Platz gekommen. Haben dort Menschenansammlungen gesehen … Da sollte Markt sein, da war natürlich am 17. Juni kein Markt. Aber die Leute sind aus Gewohnheit dort hin gekommen. Haben in Gruppen gestanden, sich sicherlich über die Ereignisse unterhalten. Und da haben die geschossen - in die Beine der Frauen hinein.“

Angst und bange

Nun bekommt es der kleine Peter dann doch mit der Angst zu tun. Das Knallen und die Soldaten fand er noch irgendwie interessant - "aber nicht mehr interessant war es, als wir das Blut gesehen haben. Da haben wir gesagt: Hier ist kein Spaß mehr. Hier ist Krieg. Und dann sind wir nach Hause.“

Carows Vater, der einer der Protestierenden des 17. Juni 1953 war, kann sich einige Tage später nur durch die Flucht in den Westen vor seiner Verhaftung retten.

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17. Juni 1953: Von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzte Panzer zur Niederschlagung der Unruhen in der Schützenstrasse - Quelle: Bundesarchiv

60 Jahre nach dem Aufstand - 17. Juni: Die Inforadio-Zeitzeugen erzählen

60 Jahre nach den Ereignissen erinnert Inforadio in Zusammenarbeit mit der rbb Abendschau und Brandenburg Aktuell an den 17. Juni 1953. Wir haben die Hörer und Zuschauer aufgerufen, uns ihre Geschichten und Erinnerungen zu erzählen. Zu hören sind diese vom 10.-15. Juni im Inforadio und zu sehen abends in der Abendschau und bei Brandenburg Aktuell um 19.30 Uhr im rbb Fernsehen.