Berlin, Leipziger Straße, Ecke Wilhelmstraße.- Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953.- Demonstration von Bauarbeitern - Quelle: Bundesarchiv

17. Juni 1953 - Mit dem Motorroller in den Tumult

Der West-Berliner Heinz Gaffron erlebte den DDR-Volksaufstand vor 60 Jahren an einem der Hauptschauplätze des Geschehens: am Potsdamer Platz. Neela Richter hat mit dem 81-Jährigen gesprochen.
Der West-Berliner Heinz Gaffron erlebte den DDR-Volksaufstand vor 60 Jahren an einem der Hauptschauplätze des Geschehens: am Potsdamer Platz. Neela Richter hat mit dem 81-Jährigen gesprochen.
Ein bulliger Panzer, Rauch, Menschen laufen weg, Schaulustige im Hintergrund. Ein Foto, das heute im Bundesarchiv liegt, zeigt die Geschehnisse des 17. Juni in der Mitte Berlins – am Potsdamer Platz.

"Einer von denen bin ich", sagt Heinz Gaffron. "Ich hab auch kurz vor den Panzern gestanden. Die haben über die Menschen hinweg geschossen. Plötzlich lagen alle auf der Erde. Ich war der Einzige, der noch stand, weil ich es nicht so schnell mitbekommen habe."

"Demonstranten zertrümmern Sektoren-Markierungen"

81 Jahre ist Heinz Gaffron inzwischen alt. Zur Zeit des Volksaufstands vor 60 Jahren wohnt er in Charlottenburg und arbeitet als Vertreter im Großhandel. Im Radio hört er von den Protesten in Ostteil der Stadt.

Am Morgen des 17. Juni klingt das so: Neun Uhr. Die Demonstranten zertrümmern am Potsdamer Platz die vom Stadtsowjet aufgestellten Sektoren-Markierungen. Neun Uhr 15. Demonstrationszüge in allen Straßen. Der Sitz der Zonenregierung ist durch Volkspolizeiketten hermetisch abgeriegelt.

Neugier ist stärker als die Angst

Statt zur Arbeit lenkt Heinz Gaffron seiner Motorroller mitten hinein in die Proteste an der Sektorengrenze. „Ich wollte es erleben, ich wollte es sehen, ich wollte dabei sein. Was passiert hier in meiner Stadt?“ erinnert sich der Urberliner Gaffron.

Als er am Potsdamer Platz ankommt, haben sich dort schon tausende Menschen versammelt. Die Stimmung ist angeheizt. Zeitungsbuden und das Columbus-Haus mit einer Volkspolizei-Wache werden im Laufe des Tages noch brennen.

"Es war für jeden Menschen eigentlich klar: Jetzt ist die DDR zu Ende", sagt Gaffron heute. "Wir haben natürlich nicht so weit gedacht, dass die russischen Panzer das nicht zulassen." Die Panzer stehen schon auf der Ostseite - vor ihnen Volkspolizisten. Es fallen Schüsse. Doch Angst empfindet Heinz Gaffron nicht: "Es war ein so außerordentliches Erlebnis, dass für Angst keine Zeit und kein Raum war. Ich stand mit offenem Mund da."

Schreibmaschine aus dem Fenster? Quatsch!

Auf der Westseite haben sich derweil Krankenwagen postiert, um Verletzten zu helfen. Heinz Gaffron wird mit einer Gruppe junger Menschen in ein Ministerium „hineingesaugt“, wie er sagt. Bis in den dritten Stock. „Wir haben die Akten rausgerissen, wir haben die Blätter aus dem Fenster geschmissen - und als der erste eine Schreibmaschine rausgeschmissen hat, muss ich anscheinend mit 21 schon so klug gewesen sein, dass ich gesagt hab: Ihr seid blöd. …Die Schreibmaschine brauchen wir doch wieder!“ In der Zeit nach dem DDR-System.

Tote, Verletzte Hinrichtungen

Heinz Gaffron verlässt das Gebäude und fährt auf seinem Motorroller nach Hause. In der Zeitung liest er am nächsten Tag Folgendes: "Kurz nach meinem Weggang wurde das Haus wohl gesperrt wurde und alle wurden verhaftet. Vermutlich sind einige davon [ins Straflager] nach Sibirien gekommen", sagt der alte Herr heute.

Ein paar Tage später ist der Aufstand in der DDR niedergeschlagen. Es gab Tote, Verletzte, Verurteilungen und sogar Hinrichtungen.

zurück zur übersicht

Hintergrund - Der 17. Juni 1953

Weniger als vier Jahre nach ihrer Gründung stand die DDR im Juni 1953 vor einer schweren Krise. Tausende Menschen protestierten gegen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Sowjetische Panzer hielten den Aufstand im Zaum.