Israelischer Historiker Yehuda Bauer (Bild: dpa)
Bild: dpa

- Yehuda Bauer: Warum Antisemitismus eine Gefahr bleibt

In Jerusalem erinnert das Welt-Holocaust-Forum an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren. Der Historiker und Holocaustforscher Yehuda Bauer war lange wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Yad Vashem. Inforadio-Redakteur Christian Wildt hat ihn getroffen, um mehr über alten und neuen Antisemitismus zu erfahren.

"Antisemitismus ist zerstörerisch für die Gesellschaft", sagt Yehuda Bauer. Der Historiker und Holocaustforscher hat in Jerusalem gelehrt, gearbeitet und war lange wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Yad Vashem.

Der israelische Historiker Yehuda Bauer gilt als einer der renommiertesten Holocaust-Forscher und hat sich lange mit dem Thema Antisemitismus befasst. Er beobachte, dass sich die Gesellschaft zunehmend radikalisiere. Dies sei zum einen radikal religiös ausgerichtet - nicht nur islamistisch, betont Bauer. In Polen etwa gebe es auch radikal katholisch-nationalistische Gegenden. Außerdem nehmen der linke und der rechte Extremismus zu. "Antisemitismus kommt sowohl von der radikalen Rechten, also Rassismus, aber auch von der radikalen Linken."

Lebensstationen

Yehuda Bauer ist am 6. April 1926 in Prag geboren als Martin Bauer. Seine Familie floh 1939 nach Israel.

Prof. Yehuda Bauer war bis 2000 Direktor des internationalen Forschungsinstitutes in Yad Vashem.

Seit 2000 ist er als wissenschaftlicher Berater in Yad Vashem tätig. Er ist außerdem emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Berater der International Holocaust Remembrance Alliance.

Ursachen für Antisemitismus

Antisemitismus sieht Bauer als kulturelle Tatsache, die seit vielen Jahrhunderten tief in der Kultur verankert sei. Moderner Antisemitismus habe unterschiedliche Ursachen. Einerseits sei dieser vor allem theologischen Ursprungs, zu dem sich demnach wirtschaftliche und soziale Gründe gesellen. Antisemitismus ist laut Yehuda Bauer ein "Krebs, der an der Gesellschaft nagt und eine Gefahr für die Gesellschaft ist" - und für Bauer zudem Auslöser des Zweiten Weltkriegs.

Gesellschaftliche Probleme bleiben

Die Juden seien die direkten Opfer von Antisemitismus: "Natürlich sind das Sündenböcke, aber die eigentlichen Probleme der Gesellschaft werden dadurch nicht gelöst", betont der Historiker. Antisemitismus sei eine der Ursachen des Zerfalls der Gesellschaft.

Die Aufnahme von Geflüchteten habe nicht den Antisemitismus nach Deutschland gebracht, sagt Bauer: "Der Antisemitismus war da. Die Masseneinwanderung war in gewissem Maße ein Trigger."

Um dem zu begegnen, sollten die Juden in Deutschland eine Kippa tragen. "Ich würde das als eine Antwort auf eine Herausforderung bezeichnen." Wichtig sei es zudem, in einer Gesellschaft gegen alle Formen der Radikalisierung vorzugehen.

Stärkung der Nationalisten in Europa

Von den Ergebnissen der Europawahl, bei der rechtsgerichtete, nationalistische, populistische Bewegungen große Erfolge feiern konnten, zeigt er sich im Inforadio-Gespräch nicht enttäuscht. Die Ergebnisse seien vielmehr bereits zu erwarten gewesen, da weltweit ein nationalistischer Trend vorherrsche. Durch die Erfolge der Grünen sieht Bauer allerdings auch eine Gegenbewegung - das Ergebnis sei letztlich ein "Unentschieden."

Das Gespräch ist eine Wiederholung aus dem Mai 2019.

Auch auf inforadio.de

Polen, Oswiecim: Raureif ist am frühen Morgen auf der Stacheldrahtanlage des früheren Konzentrationslagers Auschwitz I zu sehen.
dpa

Auschwitz – 75 Jahre nach der Befreiung

Rund um den 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau gedenkt die Welt der Opfer des Nationalsozialismus'. Im Inforadio blicken wir zurück, sprechen mit Zeitzeugen und berichten von den Gedenkfeierlichkeiten.