Der frühere österreichische Vizekanzler Erhard Busek
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- "Europa braucht weniger Vorurteile und mehr ernsthafte Diskussionen"

Anstatt gleichberechtigt miteinander zu verhandeln, dominieren in Europa 75 Jahre nach Kriegsende noch immer westeuropäische Staaten, meint Österreichs ehemaliger Vizekanzler Erhard Busek. Über die "EU in der Beziehugnskrise" hat Stephan Oszváth mit ihm gesprochen.

Ein Problem ist laut Busek, dass das Verhältnis zwischen EU-Staaten öfter von primitiven Vorurteilen statt von Verständnis und ernsthafen Debatten geprägt sei. Der sogenannte Westen unterschätze, dass jüngere Mitgliedsstaaten im Osten weitaus weniger Zeit gehabt hätten, sichh an historische Umwälzungen zu gewöhnen. "Wir sind im Urteil zu kritisch und zu oberflächlich", sagt Busek. Politische Prozesse brauchten Zeit. Er werfe Westeuropa vor, die Menschen im Osten und deren Hintergrund nicht zu kennen, so der ÖVP-Politiker. "Viktor Orbán ist nicht ganz Ungarn."

 

EU-Ämter zu westlich besetzt

 

Es habe zu lange gedauert, bis in den Besetzungen der EU-Kommissionen Personen aus den neueren Mitgliedsstaaten berücksichtigt wurden, betont Busek. Auch die Kommissar*innen aus diesen Ländern hätten meist keine wichtigen Funktionen. "Streng genommen ist alles westlich besetzt". Es sei außerdem ein Fehler, dass die europäischen Hauptstädte wie Brüssel und Straßbourg so weit westlich liegen. "Es wäre sehr gescheit, wenn man mit einigen Institutionen etwa nach Krakau zöge", sagt Busek.

Es sei bisher nicht gelungen, die Demokratie des Nationalstaates in eine europäische Demokratie umzuwandeln. "Da sind wir steckengeblieben", sagt der ehemalige Vizekanzler. Es fehle vor allem an kraftvollen Vorschlägen und einer echten Diskussion darüber, wie die Europäische Union reformiert werden könne. Aus Unsicherheit über den richtigen Weg blickten stattdessen viele zurück in die Vergangenheit und begäben sich in eine nostalgische Sehnsucht.

 

"Der Nationalstaat ist tot"

 

Die Corona-Krise zeige in Europa vor allem eines: "Der Nationalstaat ist eigentlich tot", so Busek. Stattdessen brauche es eine vitale Diskussion darüber, wie europäische Demokratie aussehen solle. "Wir brauchen die Ebene, wo Europa versucht herauszuentwickeln, was wirklich gemeinsam sein muss und was innerhalb der Mitgliedsstaaten entschieden werden kann."

Busek warnt vor der Sehnsucht nach starken Führungsrollen innerhalb der EU. "Ich glaube, dass wir die Art, gleichberechtigt miteinander zu verhandeln, wenngleich wir unterschiedliche ökonomische Größen haben, noch nicht richtig geschafft haben." Das sei eine Frage der Fantasie und der geistigen Entwicklung

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