Schild von Deutsche Wohnen
Bild: imago/Steinach

- Prof. Christian Pestalozza: Sozialisierung statt Enteignung

Um steigenden Mieten in Berlin zu begegnen, startet die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" am Sonnabend ein Volksbegehren. Ziel ist es, Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu "vergesellschaften". Kritiker empören sich: Ist es ein Rückfall in sozialistische Zeiten? Inforadio-Redakteur Christian Wildt befragte den Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Christian Pestalozza.

Pestalozza sagt, streng genommen gehe es nicht um eine Enteignung, sondern um eine Sozialisierung.  Das sei im Wortlaut und in der Sache ein Unterschied. Die Vergesellschaftung als solche ist der Idee nach ein legitimes Anliegen und voraussetzungsfreier.  Aber die Wohnungen dem Markt zu entziehen, sei ein ähnlich starker Eingriff, wie eine Enteignung. Doch es habe den Anschein, so der Professor, dass andere Mittel nicht griffen und die Gesetzgeber bereits versicherten, dass sie alles täten, was in ihrer Macht stehe.


Von Artikel 15 sei in diesem Kontext bisher nie Gebrauch gemacht worden. Dieser lautet:

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.

Folgt man der Argumentation der Initiative, so handelt es sich um 243.000 betroffene Wohnungen – diese könnten bis zu 30 Milliarden Euro Entschädigung kosten. Der tatsächliche Wert berechnet sich jedoch aus einer Vielzahl von Faktoren. Die Initiative schätzt den Wert um ein Viertel bis ein Drittel niedriger ein.

Keine schnellen Veränderungen
Pestalozza dämpfte allerdings auch die Hoffnung auf schnelle Veränderungen. Denn: Kommt es zu einem erfolgreichen Volksbegehren und anschließend zu einem erfolgreichen Volksentscheid, so ist der Senat erst dann verpflichtet, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen. Ob das Abgeordnetenhaus diesem Gesetz später auch zustimmt, ist aber noch offen. Abgeordnetenhaus ist nicht an den Volksentscheid gebunden.

Betroffen sein könnten auch Wohnungsunternehmen, die per se schon jetzt gemeinnützig sind wie die Hilfswerk-Siedlung mit einem kirchlichen Träger. Diese besitzt an die 6000 Wohnungen in Berlin. Die fast willkürliche Festlegung auf 3000 Wohnungen bei den Konzernen sieht Pestalozza eher gelassen. Denn die Initiative hätte dem Gesetzgeber eine sinnvolle Bemessungsgrenze vorgeben müssen.
Konzerne wie die Deutsche Wohnen sind börsennotiert und in erster Linie Aktionären und nicht den Mietern verpflichtet. Die Spekulation mit Baugrund beispielsweise durch Ungenutztlassen interpretiert er als Missbrauch wirtschaftlicher Macht.

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Protestplakat Deutsche Wohnen und Co enteignen an einem Wohnhaus an der Karl-Marx-Allee in Berlin Friedrichshain. (Bild: imago/Ipon)
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Enteignen fürs Gemeinwohl?

In den vergangenen Monaten hat sich die hitzige Atmosphäre zwischen Mietern und Immobilienkonzernen in Berlin verschärft. Am Pranger stehen Unternehmen wie die "Deutsche Wohnen", die mit ihrer Mietpreispolitik die Gentrifizierung in der Stadt vorantreiben. Das meinen zumindest die Organisatoren der Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen enteignen", die am Samstag mit ihrer Unterschriftensammlung beginnen. Wir beleuchten das Thema in dieser Woche von allen möglichen Richtungen.