- Berlinale-Wettbewerb: Unsane

Was ist schon normal? Was verrückt? Die Antwort auf diese Fragen wird oft gerne verdrängt, und der Umgang psychisch Kranken oder auch nur labilen Menschen gerät meist nur in den Fokus der Debatte im Zusammenhang mit Psychiatrie-Skandalen. Skandale um zu Unrecht verfügte Zwangseinweisungen, Fixierung und falsche Medikamentierung von Patienten. Das Kino dagegen taucht immer wieder ein in die Welt der Psychiatrie - auf der Berlinale etwa Steven Soderbergh mit "Unsane", der außer Konkurrenz im Wettbewerb läuft. Barbara Wiegand hat sich den Film angesehen.

Die Übersetzung "Ausgeliefert" des Filmtitels "Unsane" scheint nicht ganz zutreffend, ist doch "unsane" ein Spiel mit dem englischen Wort "insane" - verrückt - oder eben nicht - "unsane"? Die Frage stellt sich für die junge Büroangstellte Sawyer Valentini.

Auf der Flucht vor einem Stalker ist sie in eine andere Stadt gezogen, hat den Job gewechselt. Sie fühlt sich gut und doch nicht so ganz und sucht deswegen eine Therapeutin auf für ein beratendes Gespräch. Am Ende findet sie sich hinter den verschlossen Türen einer Psychiatrischen Klinik wieder - aus ihrer Sicht unfreiwillig, offiziell aber wird sie freiwillig festgehalten, weil sie unterschrieben hat, dass sie zur Beobachtung 24 Stunden in der Klinik bleibt. Das sind 24 Stunden, aus denen dann 7 Tage und eine Katastrophe werden.

Es ist eine Selbsteinweisung, die mit Tricks und Druck zustande kommt: Sie solle doch nur noch eben den üblichen Papierkram unterschreiben, sagt ihr die Therapeutin nach dem Gespräch, das sie manipulativ geschickt in Richtung Thema Selbstmord gelenkt und der Patientin dabei entlockte, dass sie schon mal dran gedacht hätte, sich das Leben zu nehmen. Das reicht der Klinik aus, um das Festhalten der Patientin zu ihrem eigenen Schutz zu rechtfertigen - und von der Versicherung zu kassieren.

Der Vorwurf, Menschen in der Psychiatrie festzuhalten unter dem Vorwand, sich und andere zu schützen, solange die Versicherung zahlt, wird auch im realen Leben in den USA von einigen erhoben.

Im Film beginnt für Sawyer nun eine psychische Odyssee, die entwürdigend und entblößend für Körper und Geist ist: sie ist festgebunden ans Bett, wird mit Tabletten auf Horrortrips geschickt und ist der Situation scheinbar vollkommen ausgeliefert - auch dem Stalker, der sie jahrelang verfolgt hat und den sie nun meint, in einem der Pfleger wiederzuerkennen. Aber ist das wirklich der Mann, der sie verfolgt hat? Oder hat sie sein Aussehen in ihrer ausweglosen Situation nur das auf einen anderen projiziert?

Fragen nach den Grenzen des "klaren" Verstands, nach den Sichtweisen auf Normalität und Realität könnten sich stellen. Und aus diesen verschiedenen Perspektiven erzählt, könnte Regisseur Steven Soderberg ein vielschichtiges filmisches Netz weben, aber er tut es nicht. Statt den Irrsinn der Story ernst zu nehmen und einzutauchen in die Ängste, in Wirrungen der Wahrnehmung von Wirklichkeit oder eben nicht, inszeniert er ein aufgesetzt verrücktes Spiel. Und versucht dann ziemlich plump, das Ruder rumzureißen in Richtung Psychothriller. Der Stalker ist dann plötzlich der wirkliche - nicht der eingebildete - Stalker, der die Mutter umbringt, die zu Hilfe eilt, genau wie der Leidensgenosse, der getarnt als Patient über die Missstände in der Klink schreibt.

Soderbergh bedient dabei munter diverse Klischees: da gibt es die ignoranten Ärzte, die Gleichgültigkeit des Pflegepersonals oder die Polizei-Patienten. Am Ende steuert er dann auf einen blutigen Höhepunkt zu, wo Sawyer dann ihren Verfolger David Strine umbringt. Die Frage, ob das alles wirklich passiert ist oder wahnhafte Vorstellung war, interessiert da schon lange nicht mehr.

"Unsane" läuft zwar außer Konkurrenz, ist aber eigentlich komplett entbehrlich in diesem Wettbewerb.

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Berlinale Palast mit Lichteffekten
imago/STPP

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