- Die (heilige) Wagner-Familie

Beim Adventstürchen-Thema Familie darf die wohl bedeutendste Familie der deutschen Kulturlandschaft nicht vergessen werden: Der Wagner-Clan. Eine von Zwistigkeiten und Intrigen geprägte Blutsbande - peinlich oder anbetungswürdig? Das fragt sich Judith Kochendörfer.

Der 12-jährige Siegfried Wagner, Sohn von Richard und Cosima Wagner, sitzt auf einem Holzbrett und fährt mit dem Hobel drüber, neben ihm seine ältere Schwester, die Hände zum Gebet aneinandergelegt und ein Tuch über Kopf und Körper, hinten drei weitere Schwestern als musizierende Engel. Im Haus Wahnfried in Bayreuth hing dieses Gemälde - die Wagners als heilige Familie - bis es 1945 verschwand.

Deutschland hat in den Jahrhunderten zahlreiche Komponisten hervorgebracht. Einige hatten halbwegs berühmte Kinder, von den meisten Nachfahren hört man jedoch nichts mehr. Im Gegensatz zum Wagner-Clan.

Richard und Cosima Wagner hatten drei gemeinsame Kinder, die es inzwischen auf fünf Enkel und 13 Urenkel gebracht haben, eine große Familie, die sich streitet, Machtspielchen austrägt und irgendwie doch zusammenhält - und sei es nur aus Verpflichtung. Blut ist dicker als Wasser, und das Wagner-Blut scheint besonders dick.

Richard Wagner hat keine Komponisten-Dynastie begründet. Seine Nachkommen sind damit beschäftigt, die Instiution Wagner am Leben zu halten: das Festspielhaus Bayreuth und die Festspiele, in denen zehn Opern Wagners in zeitrelevanten Inszenierungen aufgeführt werden. In Bayreuth pflegen sie die deutsche Regietheater-Tradition, sie inszenieren, dirigieren, managen.
Und neben diesen Aufgaben haben sie - mehr oder weniger freiwillig - eine weitere: sie unterhalten uns. Sie sind unsere Royals. Sie sind - für Kulturliebhaber - das, was einer Adelsfamilie aus den Klatschspalten am nächsten kommt.

In einem legendär gewordenen Bericht von Regisseur Christoph Schlingensief erscheinen die Wagners als eine Horde von Kontrollfreaks. Aber man muss anmerken: Bayreuth ist vielleicht die einzige Kulturhochburg Deutschlands, bei der Klatsch und Hochkultur gleichwertig koexistieren können. Ohne die Wagners wäre der grüne Hügel ein trockener Ort, an dem es nur um Inhalte und Konzepte geht. Anspruchsvolle Kultur allein gibt es in Deutschland reichlich. Bayreuth verleiht der Bedeutungsschwere einen Hauch von "Gala" und "Bunte", der einen Besuch dort über das intellektuelle Erleben hinaus zu einem aufregenden Ereignis macht.

Es ist leicht, die Wagners amüsant zu finden. Und doch scheinen sie über allem erhaben, allein durch ihre Herkunft. Sie haben ihre Bedeutung nicht erarbeiten müssen. Sie wurden groß geboren, und diese Art Größe wirkt so unerschütterlich, dass wir sie, auch wenn wir uns über sie lustig machen, unweigerlich auch erhebend finden.

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