Autorin Sineb El Masrar (Bild: rbb/Freiberg)
Bild: Klaus Dieter Freiberg

10 Ideen - Das braucht Deutschland - Idee 7: Autorin Sineb El Masrar

Emanzipation und Selbstbefreiung - das sind die großen Themen für die Publizistin Sineb El Masrar. Die Tochter marokkanischer Einwanderer ist Herausgeberin des Frauenmagazins "Gazelle" und Autorin von Büchern über muslimische Frauen in Deutschland. Ihr letztes heißt "Emanzipation im Islam“ und ist eine Abrechnung mit deren Feinden. Die kämpferische Stimme einer deutschen Muslimin in der Inforadio-Gesprächsreihe "10 Ideen – das braucht Deutschland".

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Christian Wildt: Und das bleibt auch so? Oder verändert sich das gerade? Wir haben ja, die "Vereinfacher" im Moment auf der Erfolgsschiene.

Sineb El Masrar: Genau und ich glaube deswegen ist es eben wichtig, dann nicht nur die Menschen dort zu lassen, und sie da irgendwie so in ihrer eigenen Suppe weiter kochen zu lassen, sondern sie jetzt eben auch abzuholen. Und das wirklich auf allen Seiten. Also sowohl bei den sehr extremen Linken, bei den Extrem Rechten, aber eben auch bei den Extremen, die sich dem politischen Islam eher verortet sehen. Und da müssen wir irgendwie schaffen, das wirklich nur noch eine kleine Minderheit sein zu lassen und wirklich mehr zu einem Zusammenleben. Und ich glaube das schaffen wir, wenn wir eben diese Gesellschaft, wie wir sie heute haben, die erstmal als Faktum wahrnehmen, als Status Quo, und zu fragen: Was bringt uns zusammen? Was kann uns voranbringen als Gemeinschaft und trotzdem mit Anerkennung für die verschiedenen Ethnien, die verschiedenen Religionsgemeinschaften. Wir brauchen einen gemeinsamen Nenner. Und den schaffen wir glaub ich. Und das bringt das Grundgesetz. Aber das Grundgesetz hat natürlich auch so kleine Nischen, wo man eben wie gesagt, sein ganzes Leben Antidemokrat sein kann und in einer rechten Partei sich verorten kann oder meinetwegen auch, wie wir das bei den Reichsbürgern sehen, sich total irgendwie abnabeln. Das funktioniert immer nur dann, wenn es eben keine große Masse wird. Und deswegen ist Aufklärung so früh wie möglich ganz, ganz wichtig. Wir müssen eben in den Schulen die  Einwanderungsgeschichte kommunizieren, wir müssen deutlich machen, wo Faschismus überall seine Wurzeln hat und eben nicht nur sozusagen im Denken. Und dass ist eben nicht etwas, das wir nur bei einer bestimmten Ethnie, sondern durchaus überall haben. Der Nationalismus alleine in der arabischen Welt ist ja sehr stark verbreitet. Und der ist aber auch sehr stark faschistoid geprägt gewesen. Und ich glaube, das muss man ganz deutlich machen, damit diese jungen Menschen verstehen, dass dieses Land ihr Land ist. Und alle diese Werte der Freiheit, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit fußen darauf, dass wir sie verteidigen und uns bewusst machen, dass wir nicht diesen, ja Volksversprechern von der alten Größe und wieder Überlegenheit, sei es, weil man irgendwie muslimisch ist oder weil man deutsches Blut in seinen Adern hat, sondern weil man sich eben genau für diese besonderen Freiheitswerte einsetzt und sich eben nicht einlullen lässt von irgendwelchen faschistischen Gedanken. Und ich glaube das können wir ganz ganz früh wie möglich in den Schulen verankern.

Christian Wildt: Die Freiheit ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält?

Sineb El Masrar: Er macht es möglich über Dinge nachzudenken, frei nachzudenken und ich glaube dieses Nachdenken brauchen wir Menschen. Es bringt nichts zu sagen, du musst so und so leben, dann bist du frei, sondern der Mensch muss das verstehen. Und wir sehen das in Ländern, wie Iran oder Türkei, wo Modernität von heute auf morgen einem übergestülpt worden ist. Und die Menschen haben das überhaupt nicht begriffen, und das ist ein Prozess, also auch Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg war ja nicht von heute auf morgen nach dem Krieg so "ja wir sind jetzt Demokraten und wir haben jetzt das Grundgesetz". Das ist ja ein Prozess gewesen und wir sehen ja auch beispielsweise, dass eben auch viele Ostdeutsche sich ja eben nach wie vor nicht wirklich mit diesem Deutschland identifizieren. Sie fühlen sich im Stich gelassen, und das bedeutet, dass wir eben eine Auseinandersetzung dieser Gefühle, dieses Abgehängt-Seins eben nicht mit ihnen, ja durchgezogen haben. Und das haben wir natürlich bei anderen Gruppen, die jetzt als Einwanderer hier her gekommen sind, ja zum Teil auch. Und das erzeugt Frust, und deswegen braucht es diese Räume des Denkens, des Streitens, des Argumentierens, um es zu begreifen. Ich glaube bei ganz vielen ist noch nicht so durchgedrungen, was diese Freiheit, was dieser Rechtsstaat, bedeutet und worauf er fußt. Er fußt eben auf der Freiheit des freien Denkens und des Reflektierens und das bedeutet eben keine Grenzen aufzusetzen und das fängt wie gesagt in der Familie an, indem man nicht mit den Eltern diskutieren kann. Das fängt in der Gemeinde an, wo bestimmte Fragen oder Gegebenheiten nicht hinterfragt werden dürfen, wenn wir zum Beispiel von Moschee-Gemeinden reden oder von Communities, wo ein sozialer Druck da ist, wo man nicht mal seinen Partner frei auswählen darf, weil er irgendwie die falsche, in Anführungsstrichen, die "falsche" Religion hat oder eben die falsche Hautfarbe. Wenn "Angelika" mit, was weiß ich, dem Alejandro aus Botswana kommt oder so was.

Christian Wildt: Positiv gedreht: Was wäre jetzt nötig für diese Menschen, die sich der Freiheit noch nicht bewusst sind oder sie nicht leben?

Sineb El Masrar: Ich glaube man könnte Foren schaffen. Foren der Begegnung, wo man zusammenkommt, das kann natürlich beispielsweise wie hier das Radio sein, dass man vielleicht eine Sendung konstruiert, wo genau diese Stimmen mal zusammenkommen. Und dann würde ich tatsächlich nicht nur unbedingt Funktionäre von irgendwelchen Parteien oder so, sondern vielleicht Menschen, die hier täglich irgendwie das Radio hören und dann die Möglichkeit haben vielleicht auch mit gewissen Leuten auch ins Gespräch zu kommen. Man kann das aber eben auch in Volkshochschulen, wir haben hier so viele Institutionen, wo man zusammenkommen kann, wo man eben genau diese Dinge nochmal besprechen kann, erleben kann. Wo man sich begegnet. Wo man tatsächlich auch eben aus dem Internet heraus diese Anonymität verliert und zu dem stehen muss, was man da sagt. Wo man vielleicht nochmal drüber nachdenken muss, wie formuliere ich, um einfach auch das Gegenüber auch nicht zu verletzen. Also man kann ja Kritik äußern ohne verletzend zu werden, in dem man sich sozusagen an Äußerlichkeiten einer Person abarbeitet oder weil man das "falsche" Geschlecht hat. Und ich glaube da gibt es durchaus Möglichkeiten. Das ist so, sagen wir mal so, eine Art direkte Demokratie, in dem Fall, also dass man da eben zusammenkommt, und genau diese Werte nochmal verteidigt und darüber spricht und was es bedeutet, wenn man das so kopflos aufs Spiel setzt. Lasst euch aufeinander ein. Höre dir an was der Andere oder die Andere zu sagen hat und nimm das auch mal für einen Moment an. Und lass es mal wirken. Wir neigen glaube ich ganz stark, durch die sozialen Medien, immer sofort dazu, uns nicht die Zeit zu nehmen, vielleicht mal über Dinge nochmal nachzudenken. Es muss sofort raus und dann ist es aber trotzdem nicht besser, nur weil es dann sofort raus gelassen worden ist. Also lieber Tagebuch führen, dass hilft vielleicht mehr.

Kommentar

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2 Kommentare

  1. 2.

    Einen sehr interessanten Artikel zum populares Thema. Es ist schon beeindruckend zu sehen, welche Entwicklung man hier in den letzten Jahren beobachten konnte.

  2. 1.

    Glückwunsch! Nachdem offenkundig Multikulti weltweit gescheitert ist und auch die USA kein Vorzeigeland mehr sind, da endlich ist man bereit, die Kritiker anzuhören. Wenn jetzt noch die Kritik ernstgenommen und nicht gleich als „Hass und Hetze“ diffamiert wird, dann kann man an einem gesellschaftlichen Konsens arbeiten, an Lösungen, mit denen alle auch zukünftig noch gut und sicher leben können. Freiheit kann sich nur im zuverlässigen Schutz von Recht, Gesetz und gesicherten Grenzen entfalten.

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10 Ideen - Das braucht Deutschland (Bild: rbb/Freiberg/Grischek)
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10 Ideen - Das braucht Deutschland

Zehn kluge Köpfe beziehen im Inforadio Stellung zur gesellschaftlichen Lage. Künstler, Publizisten und Wissenschaftler wie Anna Thalbach, Ulrich Wickert, Nico Hofmann, Smudo, Klaus Töpfer oder Sineb El Masrar formulieren ihren persönlichen Standpunkt: Was braucht Deutschland? Offenheit oder Abgrenzung, Miteinander oder Konfrontation? Das Ziel: Eigene Ideen formulieren, statt sichauf gängige Parolen zu verlassen. Hier auf inforadio.de können Sie alle Interviews nachhören, nachlesen und kommentieren!