- Wetten auf den Brexit

Wie sagt man den Ausgang einer Abstimmung voraus? Telefonumfragen, Internetumfragen, wahllos Menschen auf der Strasse ansprechen? In Großbritannien gibt es noch eine andere Möglichkeit: Man ruft einfach im Wettbüro an. Denn egal ob Sport-Event, Schlager-Wettbewerb oder Politik - die Quoten wissen es oft am besten. Eric Graydon hat deswegen mal nachgefragt.

Je näher das Brexit Referendum rückt desto öfter hören Sie Variationen dieser Nachricht: "Laut der neusten Umfragen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien die EU verlassen könnte, aktuell bei X Prozent, die Wettbüros gehen von einer geringeren Wahrscheinlichkeit aus".

In Großbritannien kann man auf alles wetten

Warum werden in seriösen Nachrichten Wettbüros zitiert? Dahinter steckt eine Besonderheit des britischen Wettmarktes. Anders als in Deutschland kann man in Großbritannien auf so ziemlich alles wetten. Wie heißt das nächste Kind von William und Kate? Wer gewinnt die US Präsidentschaftswahl? Gibt es ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum für Schottland?

Das alleine wäre aber kein Grund, sie zu zitieren. Zitiert werden sie, weil sie in den letzten Wahlen und Abstimmungen in Großbritannien erstaunlich gute Vorhersagebarometer waren. Aber wie funktioniert das Ganze? Alex Donohue ist einer der Analysten bei Wettanbieter Ladbrokes: "Wir schauen uns die Wahrscheinlichkeiten, die Umfrageergebnisse, Ergebnisse vergangener Referenden an, rechnen viel rum und geben dann eine erste Wettquote an. Danach geht es quasi ans Volk über. Das, was dann passiert, ist genau wie bei einer Aktie, einem Barrel Öl - da geht es um Angebot und Nachfrage."

Ein millionenschweres Geschäft

Je gefragter eine bestimmte Wette ist, desto weniger bekommt der, der diese Wette abschließt. Letzte Woche sorgten Umfragen, nach denen die EU-Gegner vorne lagen, für Panik an den Märkten. Auf einmal war davon die Rede, dass 55 Prozent der Briten für einen Brexit seien. Bei den Wettbüros hingegen blieb die Wahrscheinlichkeit eines Austritts Großbritanniens solide unterhalb der 50 Prozent Marke: "Das Tolle an politischen Wetten in Großbritannien ist, dass es ein millionenschweres Geschäft ist. Da stecken die Meinungen von Hunderttausenden drin, die wetten und so die Wettquote beeinflussen. Das gibt diesen politischen Wetten eine große Vorhersagekraft."

Das größte politische Wettereignis aller Zeiten

Der wichtigste Unterschied zwischen einer Umfrage und Wettwahrscheinlichkeiten liegt, so Donohue, in der Frage, die gestellt wird. Bei einer Umfrage sollen Menschen sagen, ob sie persönlich einen Brexit gut oder schlecht finden. Bei einer Wette versuchen Menschen zu erraten, wie sich ihre Mitmenschen entscheiden werden. Also bezieht die Wette wesentlich  mehr Meinungen und Überlegungen ein als eine Umfrage. Die Wettbüros werden bis zum Ende der Auszählung Wetten annehmen. Aber auch wenn der Ausgang immer noch nicht klar ist. Eins weiß Donohue schon jetzt: Für die Wettindustrie lohnt sich das Referendum auf jeden Fall. "Wir glauben dass dieses Referendum das größte politische Wettereignis aller Zeiten werden könnte. Wir gehen davon aus, dass die britische Wettindustrie um die 100 Millionen Pfund einnehmen könnte." Rund die Hälfte dieses Geldes werde vermutlich am Tag des Referendums selbst eingehen.

 

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Drinbleiben oder Rausgehen aus der EU? Das ist die Frage, die britische Wähler beim Referendum am Donnerstag beantworten müssen. Umfragen zufolge wird es eine denkbar knappe Entscheidung. Der Wahlkampf zwischen Befürwortern und Gegnern eines britischen Austritts aus der Europäischen Union war in den vergangenen Wochen immer hitziger geworden und gipfelte in der Tragödie um die Labour-Politikerin und Brexit-Gegnerin Jo Cox, die bei einer Wahlkampfveranstaltung Opfer eines Attentats wurde. Mit Experten, Politikern und Korrespondenten blicken wir täglich auf die Insel. Alle Beiträge, Interviews und Hintergründe finden Sie hier.