Roboter mit Gehirn (Bild: colourbox)

Das vernetzte Ich - Wir lagern unser Gehirn aus - und das ist normal

Fragen beantworten uns Suchmaschinen, den richtigen Weg findet unser Navigationsgerät: Im Alltag verlassen wir uns schon sehr auf die digitale Vernetzung. Aber wie wirkt sich künstliche Intelligenz auf das "vernetzte Ich" aus? Der Philosoph, Neurowissenschaftler und Psychiater Georg Northoff, der an der Universität Ottawa den eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Geist, Gehirn und Neuroethik innehat, sagt im Interview bei Alexander Schmidt-Hirschfelder: Das Gehirn verlernt Dinge – lernt dafür aber auch neue.

Schmidt-Hirschfelder: Wie hat sich unser Denken durch das ständige Gucken auf das Smartphone verändert?

Northoff: Das ist natürlich zum Teil spekulativ, aber es ist gar keine Frage, dass sich das Gehirn, die zeitlichen Rahmen, in denen das Gehirn Informationen prozessiert, da passt es sich sehr an die zeitlichen Rahmen von der Umgebung an. Also: Wenn die Umgebung sehr lange Zeiten hat, sehr langsam ist, dann wird das Gehirn auch langsamer seine Aktivität prozessieren. Wenn aber in der Umwelt sehr schnell ständig wechselnde Information gegeben wird, dann wird sich das Gehirn da anpassen und diese Information entsprechend auch schnell in seiner eigenen neuronalen Aktivität prozessieren. Und das macht sich zum Beispiel darin bemerkbar, dass die Aufmerksamkeitsspanne sehr viel kürzer ist. Und das ist mit Sicherheit damit zusammenhängend,  dass die Zeit und der Informationsfluss immer schneller werden in der Umwelt.

Schmidt-Hirschfelder: Wir sind ständig online, wir sind ständig vernetzt. Nach dem, was sie jetzt sagen, Herr Dr. Northoff, kann man gewissermaßen sagen: Wir lagern unser Gehirn aus?

Northoff: Ja, natürlich, also gewisse Kapazitäten. Also ich meine, das hat es immer gegeben. Wenn sie in Berlin den Weg finden müssen: Heute macht man einfach den Navi an und man denkt dann nicht mehr dran, wie und wo man den Weg finden muss. Und damit werden natürlich gewissen Kapazitäten des Gehirns, die wir früher aufgebaut haben, verkümmern. Das ist ganz normal.

"Gewisse Fähigkeiten verkümmern, andere werden rekrutiert"

Schmidt-Hirschfelder: Platt gesagt könnte man jetzt die Befürchtung haben, dass wir verblöden, weil wir uns zu sehr auf die Technik, auf das Digitale verlassen. Ist diese Sorge berechtigt?

Northoff: Ich würde das nicht so eindeutig sehen. Gewisse Fähigkeiten verkümmern natürlich, gar keine Frage. Aber es werden natürlich auch andere Fähigkeiten aufgebaut. Das heißt: Die anderen Kapazitäten des Gehirns, die bislang eher brach lagen, weil die Umwelt sie nicht erforderte, werden jetzt rekrutiert, sodass also Leute mit solchen Fähigkeiten auf einmal Oberwasser haben, während sie vorher nicht so richtig gut zurecht kamen.

Schmidt-Hirschfelder: Bei jeder großen kulturell-technischen Veränderung in der Menschheitsgeschichte, sei es jetzt die Einführung der Schrift oder der Buchdruck, gab es immer die Befürchtung, das sei eigentlich zum Nachteil des menschlichen Geistes. Wie schätzen sie das jetzt ganz allgemein auf die digitale Revolution bezogen ein?

Northoff: Ich denke, es ist gar keine Frage. Stellen sie sich vor, am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Telefon erfunden. Die Leute fanden das ebstimmt extrem invasis, wenn das Telefon klingelte. Und für die jüngere Generation ist das selbstverständlich, diese andere Form des Kontakts via Telefon. Und ich denke, das ist genau das Gleiche. Das ist eine ganz andere Form des Kontaktes, Onlinedating, etc. etc., als der persönliche Kontakt. Aber das war immer so. Mit der Einführung des Telefons ist bestimmt der persönliche Kontakt, die Leute, die an die Tür klopfen, um den anderen zu sehen, die Zahl der Türklopferei ist bestimmt zurück gegangen.

"Der direkte, persönliche Kontakt ist ganz wichtig"

Schmidt-Hirschfelder: Und geht uns da auch tatsächlich psychologisch, neurologisch, etwas verloren durch diese Entwicklung oder verschiebt sich da einfach nur was?

Northoff: Eines ist ganz klar: dass die emotionale, soziale Resonanz in einem direkten, persönlichen Kontakt ganz wichtig ist. Ich habe zum Beispiel dadurch, dass ich viel in der Weltgeschichte unterwegs bin, dass ich mit einigen meiner klinischen Patienten jetzt skype. Und das ist für mich auch wirklich eine neue Erfahrung. Ich bin ein Psychiater, wo der persönliche Kontakt immer ganz wichtig ist, weil man als Psychiater auch gerade die nonverbalen Verhaltensmerkmale sehen möchte. Und dann mit einem Mal skyped man mit jemandem, das ist eine ganz andere Form des Kontaktes. Aber es geht. Da wird sich wahrscheinlich unser Gehirn adaptieren. Das ist natürlich eine gradueller Prozess, der wahrscheinlich über drei, vier Generationen läuft.

Schmidt-Hirschfelder:  Reden wir ein bisschen über die virtuelle Realität. Wie schwer oder wie leicht ist es für das Gehirn, zwischen verschiedenen Realitäten zu unterscheiden? Wir haben die analoge Wirklichkeit um uns herum, aber zum Beispiel auch Virtual Reality – Brillen bei Computer-Spielen, die Leute sind mit Avataren online unterwegs. Wie gut klappt das, dieses Zusammenspiel?

Northoff: Ich glaube im Endeffekt, dass da so ein Verschmelzungsprozess stattfindet. Das eigene Bewusstsein wird dann mit dieser 3D-Wirklichkeit vom Avatar verschmelzen. Und einige Personen haben flexiblere Strukturen im Gehirn, für die ist das weniger problematisch, für andere, die haben weniger Variabilität in ihrem eigenen Gehirn in der neuronalen Aktivität, für die ist es möglicherweise schwieriger. Also insofern ist das für mich jetzt nichts prinzipiell neues, es ist mehr eine technische Extension von dem, was das Gehirn sowieso hat.

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Motivbild "Das vernetzte ich" (Bild: Colourbox)

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