Eine Frau geht im stroemenden Regen durch einen Park in Brandenburg an der Havel, im Hintergrund unsanierte Plattenbauten.(Bild: picture alliance / Caro / Hechtenberg)
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Vis à vis - Warum herrscht in Brandenburg so schlechte Stimmung, Herr Verwiebe?

Es sind turbulente Zeiten. In Brandenburg protestieren Bauern und Lkw-Fahrer, gleichzeitig gibt es hohe Umfragewerte für die AfD. Über die gesellschaftliche Stimmungslage gerade im Land hat Amelie Ernst mit dem Sozialwissenschaftler Roland Verwiebe gesprochen.

"Man hat den Eindruck, wir leben in turbulenten, sehr krisenhaften Zeiten", sagt Roland Verwiebe, Sozialwissenschaftler an der Uni Potsdam. Er forscht unter anderem zu sozialer Ungleichheit und zum Wertewandel. So wirke die Corona-Krise nach, es gebe eine enorme Teuerung, Auswirkungen des Klimawandels - "in Brandenburg brennen die Wälder"- und Kriege wie in der Ukraine und in Nahost.

Deutschland sei grundsätzlich krisenerprobt: "Wir haben die deutsche Einheit geschafft, wir haben sehr viel Zuwanderung integrieren können über Jahrzehnte [...], es gibt sehr viel, dass wir wirklich sehr gut können. Aber die strukturellen Probleme sind aus meiner Perspektive inzwischen so groß und die Liste ist so lang, dass es die Leute sehr stark wahrnehmen, dass die Dinge nicht mehr funktionieren", so der Wissenschaftler.

Soziologe: Fast ein Drittel der Arbeitnehmer in Brandenburg von Niedriglohn betroffen

 

Die Arbeitslosigkeit in Brandenburg sei im Bundsdurchschnitt gering, allerdings gebe es im Land eine starke Polarisierung: "Wir haben extrem viele wohlhabende Haushalte, speziell im Speckgürtel", erklärt Verwiebe. "Wir haben gleichzeitig aber eine Niedriglohnquote in Brandenburg, die liegt bei 30 Prozent." Das betreffe Vollzeitbeschäftigte, die so wenig verdienen, dass sie sich selbst oder ihre Familie nicht ernähren könnten.

Zudem gebe es in Brandenburg eine niedrige Tarifbindung und eine hohe Selbständigenquote. "Und das ist auch der Background aus meiner Perspektive zum Protest der selbständigen Lkw-Fahrer und - Fahrerinnen, der Bauern und Bäuerinnen. Die sind alle nicht im Tarifvertrag." Diese könnten nicht zehn oder zwanzig Prozent mehr Lohn fordern. Die einzige Möglichkeit sei, auf die Straßen zu gehen und ihren Appell an die Politik zu richten.

Der Soziologe spricht außerdem über die politischen Herausforderungen, Wohnungsnot, Infrastrukturprobleme, die Erwartungshaltung der Bürger, über Proteste und die Chancen, sich den Krisen zu stellen.