100 Sekunden Leben - Der gefährliche Zeitungsleser
Unser Kolumnist Thomas Hollmann ahnt schon länger, dass er seine Informationsbeschaffung updaten muss. Das wäre auch aus orthopädischen Gründen sinnvoll.
Diese Kolumne ist eine Wiederholung vom 20. Februar 2024.
Ich frage mich jeden Morgen aufs Neue, warum ich drei Treppen runterlaufe und dann wieder hoch, nur um Nachrichten von gestern zu lesen? Das ist doch widersinnig anstrengend – und eine Tageszeitung definitiv nicht up to date. "Nichtmehrgültigzeitung" müsste die heißen.
Aber ich laufe trotzdem runter und hole sie aus dem Briefkasten raus. Weil, wenn ich sie nicht raushole, verstopft der Kasten und dann passt kein Brief mehr rein. Und theoretisch könnte ich ja wichtige Post erhalten. Wenn der Briefträger denn gelegentlich mal vorbeikäme.
Ich könnte das Abo natürlich kündigen und die Zeitung online lesen. Ich nehme mir das auch jedes Mal vor – und tue es dann doch nicht. Vielleicht ja, weil eine Zeitung, die jeden Morgen im Briefkasten steckt, eine Verlässlichkeit vorgaukelt, die mir in diesen unzuverlässigen Zeiten ganz lieb ist. Aber dann kommt irgendwann die Rechnung für’s nächste Jahr und ich sage: "So teuer?!" - und es ist wieder zu spät zu kündigen.
Mit einer Zeitung kann man heutzutage nicht einmal mehr angeben. Früher konnte man das. Da steckte man sich die – am besten - überregionale Zeitung unter den Arm und alle sahen, wie intellektuell und weltläufig man war. Funktioniert heute nicht mehr. Heute gucken einen die Leute misstrauisch an, wenn man in der U-Bahn diese komisch bedruckten Papierbögen vor’s Gesicht hält. Was macht der Mann dahinter? Ist der gefährlich?
Vielleicht sollte ich das Abo diesmal doch kündigen. Vielleicht aber auch nicht. Sollen die Leute ruhig ein bisschen Angst haben vor mir und meiner Vorgestrigkeit.
Diese Kolumne ist eine Wiederholung vom 20. Februar 2024.