100 Sekunden Leben - Beim Latte-Macchiato-Zahnarzt
rbb24 Inforadio-Kolumnistin Doris Anselm ist irritiert darüber, dass es in der Zahnarztpraxis ihres Vertrauens plötzlich aussieht und sogar riecht wie im Café. Ob da Synergie-Effekte angestrebt werden?
Im Prinzip finde ich ja das Latte-Macchiato-Farbschema sehr schön für einen Raum, nicht nur im Café. Die vielen sanft abgestuften Brauntöne verbreiten so ein gemütliches Flair. Mir war nie bewusst, dass mir genau diese Farben unangenehm sein könnten – bis ich jetzt die frisch umgestaltete Praxis meiner Zahnärztin betrat.
Da wurde mir klar: In keinem anderen ärztlichen Bereich ergibt die Farbe Weiß tatsächlich so viel Sinn wie beim Zahnarzt. Von mir aus könnten Kardiologen ihre Praxen gern in kräftigem Pulsschlagrot einrichten statt in weiß, und Lungenärzte in luftigen Blautönen. Aber wenn ich in einem Wartezimmer sitze, wo ich mich um die Zukunft meiner Zähne sorge, dann mag ich einfach nicht an abgestufte Brauntöne denken.
Musste ich aber: Das Wartezimmer sah aus wie ein Starbucks. Ich hätte mir auch tatsächlich einen Kaffee zapfen können, und zwar in eine zahnförmige Porzellantasse. Die war zwar wenigstens weiß, stand aber sehr wacklig und zerbrechlich auf drei Wurzelfüßen. Da brauchen Leute mit meinem motorischen Geschick ziemlich schnell Zahnersatz, also Tassenzahnersatz. Ob es dafür ein Bonusheft gibt?
Vielleicht krieg ich hier zum Kaffee ja bald auch Schokokuchen oder Baklava. Ich meine, Kneipenwirte machen das schon lange so, dass sie die Nachfrage nach ihrem Angebot, also Bier, direkt selbst verstärken, mithilfe von salzigen Gratisnüsschen. Und so, wie das Gesundheitssystem heute strukturiert ist, wäre es völlig logisch, wenn Zahnärzte erstmal der Zahnzerstörung Vorschub leisten würden. Hippokratischer Eid? Welcher Eid? Ist das sowas wie das deutsche Reinheitsgebot? Gibt’s dann vielleicht bald auch Bier im Wartezimmer? Das würde mir bei der Sorge um die Zukunft meiner Zähne wirklich helfen – wenn auch nur kurzfristig.