Zwei Mitarbeiter verpacken einen Weihnachtsbaum
dpa
Bild: dpa Download (mp3, 2 MB)

100 Sekunden Leben - Gottgesandte Nadelhölzer

Viele kaufen in diesen Tagen schon einen Weihnachtsbaum. Unsere Kolumnistin Doris Anselm ist noch damit beschäftigt, die Werbe-Aussagen der Verkäufer zu analysieren. Und zwar tiefenpsychologisch.

Ich kenne Leute, die so wütend sind auf ihren Vater, dass sie ihn statt Vater ausschließlich "mein Erzeuger" nennen. Das Wort "Erzeuger" hat bei mir daher einen sehr negativen Beigeschmack. Es klingt irgendwie zugleich nach Allmacht und Sich-aus-der-Affäre ziehen.

Nun hat Ende November in meiner Nachbarschaft ein Weihnachtsbaumverkauf eröffnet. Zugegeben, die immergrüne Wohndekoration war schon lange vor dem Christentum das It-Piece zu jeder Wintersonnenwende. Aber heute ist der Christbaum doch meist was für Leute, die zumindest zeitweise an die Geschichte vom Vater, vom Sohn und vom heiligen Geist glauben, daran, dass Gott die Welt erschaffen hat, und so weiter.

Genau deshalb bin ich nun wieder allmorgendlich irritiert, wenn ich aus dem Haus gehe und an dem Werbeschild des Tännchen-Traders vorbei. Darauf steht nämlich wie jedes Jahr: "Weihnachtsbäume – direkt vom Erzeuger". Und wie jedes Jahr denke ich: Wäre ich Christin, müsste ich hier an gottgesandte Nadelhölzer glauben. Letztendlich ist doch im Christentum der Vater einer jeden Nordmanntanne … wer? Genau: der liebe Gott. Und kein dahergelaufener Brandenburger Forstwirt, sei er auch noch so nachhaltig zertifiziert.

Die wütende Ausdrucksweise des Werbeschilds jedoch lässt zwischen Gott und Forstwirt eine höchst problembeladene Vater-Sohn-Beziehung ahnen. Ich frag mich, ob der Forstwirt Kirchensteuer zahlt. Oder ob er in Prometheus-hafter Arroganz glaubt, coole Typen wie er hätten das Konzept Nadelbaum überhaupt erst erfunden. Nach christlichem Schöpferglauben verkauft der Forstwirt hier ja übrigens seine eigenen Brüder, die er zuvor auch noch in enge Netzhemden gesteckt hat. Sowas geht vielleicht im sündigen Berlin! Aber dass sich der Rest der Republik nicht drüber aufregt, das wundert mich doch alle Jahre wieder.