Wäschekorb im Wohnzimmer
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100 Sekunden Leben - Altpapier und Unterhosen

Ein Versehen, hinter dem vielleicht doch unbewusste Absicht steckt: Ob so genannte "Fehlleistungen" etwas über geheime Wünsche verraten, wird mindestens seit Sigmund Freund diskutiert. Kolumnistin Doris Anselm kämpft mit einer wiederkehrenden Fehlleistung ausgerechnet am Wäschekorb.

Manchmal glaube ich, meine bescheidene Lebensführung ist bloß Fassade – sogar vor mir selbst. Irgendwo in mir gibt es etwas, das gerne mal so richtig dekadent wäre. Weil ich mir das aber weder leisten kann noch erlauben will, nimmt mein Dekadenztrieb den Weg der Freud’schen Fehlleistung.

Vielleicht hab’ ich diesen Weg sogar unbewusst vorinstalliert in mein Leben. Und zwar an dem Tag, als ich entschied, in meiner Wohnung zwei identisch aussehende Behälter aufzustellen für Altpapier und Schmutzwäsche. Und zwar direkt nebeneinander. Schließlich habe ich in meiner kleinen Wohnung (vergleiche: bescheidene Lebensführung!) nicht viele Ecken, wo derlei Behälter stehen könnten.

Seit jenem Tag nun passiert es mir fast wöchentlich, dass ich getragene Kleidung aus Versehen statt dem Wäschekorb dem Altpapier zuführe. Als würde ich mir einen neuen Ferrari kaufen, weil im alten der Aschenbecher voll ist. Manchmal merke ich es erst unten im Hof beim Ausleeren in die große Papiertonne. Dabei entstehen vielfältige Peinlichkeiten mit der Nachbarschaft. Einmal musste ich mich fast kopfüber in die Tonne hängen zur Rettung eines schönen Spitzenhöschens. Auf meinen verschwundenen Socken dagegen wird jetzt wohl die BILD-Zeitung gedruckt, aber vielleicht auch die taz.

Womit ich zu der rätselhaften Tatsache komme, dass mir ein umgekehrter Entsorgungsfehler, also alte Zeitungen im Wäschekorb, noch nie passiert ist. Dabei könnte das gedruckte Weltgeschehen einen ordentlichen 60-Grad-Waschgang durchaus vertragen. Andererseits gibt es inzwischen genug Billigklamotten, die einen solchen nicht überstehen würden, also vielleicht im Altpapier gut aufgehoben wären. Doch irgendwie spüre ich: Das ist nicht die Dekadenz, von der ich träume.