100 Sekunden Leben - Laterne, Laterne, Sonne, Mond und … LEDs
Der Martinstag steht vor der Tür. Dazu gehören Laternenumzüge für Kinder – heute vielfach nicht mehr mit echten Kerzen, sondern mit LEDs in der Laterne. Kolumnistin Doris Anselm kämpft mit ihrem Stirnrunzeln darüber.
Ich besitze keine Anti-Falten-Creme, aber die ersten Anzeichen vorzeitiger HIRNalterung bekämpfe ich mit aller Macht. Zu den geistigen Krähenfüßen gehört zum Beispiel der plötzlich dauernd auftauchende Gedanke, früher sei irgendwas besser gewesen, den ich, wenn ich nicht aufpasse, unhinterfragt vor mich hin muffele. Zum Beispiel jetzt im November beim Anblick von Laternenumzügen.
Laternen mit Kerzen als Achtsamkeitstraining
Ich kriege sofort steile Stirnfalten, wenn ich sehe, wie "die Jugend von heute" – okay: die Kleinkindheit von heute – ihre Papierlaternen achtlos herumschleudert oder auch gerne mal hinter sich her schleift. Sind ja nur LEDs drin. Schon klar, echte Kerzen haben echtes Feuer, nicht ungefährlich, aber meine Laterne damals war auch ein Achtsamkeitstraining. Sie war was Kostbares, Verletzliches, erforderte Konzentration, weshalb Laternelaufen oft eine ruhige, ja: magische Sache war.
Leuchtstäbe werden Plastikmüll
Aber stopp: Klopfen wir mal vorsichtig ein bisschen Anti-Aging-Creme in die Hirnfalten ein und hinterfragen den Gedanken. Der Umgang mit offenem Feuer war jahrhundertelang eine Schlüsselkompetenz, auch dafür diente Laternelaufen als Training. Vielleicht ist heute der Umgang mit LEDs wichtiger. Und in einem Forum schreibt eine Mutter, ihre Tochter würde den kitschigen Plastikleuchtstab so lieben wie … na, wie etwas sehr Kostbares eben. Aber ist das das Gleiche? Und was ist mit dem Plastikmüll?
So ganz werde ich mein Unbehagen wohl nicht los, auch, weil ich eben so schöne Erinnerungen an die echten Kerzenlaternen habe. Aber es gibt sie ja auch noch zu kaufen. Heißt für mich: Laternenbezogene Wutbürger-Runzeln würde ich nur kriegen, wenn die EU sich hier mal wieder mit Verboten einmischen sollte. Aber so wie jetzt kriege ich hoffentlich nur ein paar kleine, feine Denkfalten