100 Sekunden Leben - Geiz und Mitgefühl
Am Donnerstagabend lief im Fernsehen der "RTL-Spendenmarathon". In der Sendung wurde für kranke und notleidende Kinder gesammelt. In drei Wochen zieht das ZDF nach mit seiner Gala "Ein Herz für Kinder". Die Vorweihnachtszeit ist die Zeit der Spendensendungen. Kolumnist Thomas Hollmann fragt sich, ob er hartherzig ist, wenn er kein Geld gibt.
Ich habe beim "RTL-Spendenmarathon" nicht mitgemacht. Und "Ein Herz für Kinder" werde ich ebenso wenig gucken. Mir ist das zu viel Gefühl und ich will mich von fremden Leuten nicht zu Tränen rühren lassen. Ich möchte selbst entscheiden, wann ich weine.
Zugegeben, ich weine eher wenig. Bis gar nicht. Da könnte ich eigentlich mal einen Abend durchflennen. Das würde mir vielleicht ganz guttun, zu sehen, dass es eigentlich prima dran bin. Aber ich habe Angst: Wenn ich erst einmal anfange zu heulen, höre ich nicht mehr auf. Bei all dem Elend in der Welt.
Eigentlich müsste im Fernsehen jeden Tag eine Spenden-Gala laufen. Tut es aber nicht. Denn das würde die Menschen überfordern. Finanziell, vor allem aber auch emotional. Menschen können nicht ständig mitfühlen, zwischendurch müssen sie auch mal arbeiten. Also teilen sich die Menschen ihr Mitgefühl ein.
Und im Fernsehen wird deshalb für kranke Kinder gesammelt und nicht für kranke Alte. Für Kinder ist das Mitgefühl größer. Denn Kinder haben ihr Leben noch vor sich, Alte hingegen nicht. Mitgefühl ist auch eine kalkulatorische Größe.
Und eine kalendarische. Laufen Spendensendungen doch erst, wenn schon Weihnachtsmärkte aufgemacht haben. Weihnachten – das Fest der Liebe und der Barmherzigkeit. Zwar haben laut einer Studie aus dieser Woche acht von zehn Deutschen nichts mit Religion am Hut. Aber im Sommer am Ballermann haben sie das noch weniger als jetzt.
Bleibt die Frage, ob ich hartherzig bin. Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich auch nur geizig.