Zwei Freunde unterhalten sich an einem Fluss
Westend61
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100 Sekunden Leben - Frag nicht...

Wie viel möchte man im Freundeskreis eigentlich gefragt werden darüber, wie es einem so geht? Unser Kolumnist Hendrik Schröder macht da gerade ein paar Erfahrungen.

Ich hab da so einen Kandidaten im Freundeskreis, den kenne ich schon so lange und jüngst ist mir erst aufgefallen, dass er mich überhaupt nichts fragt. Nie. Nicht per Whatsapp, nicht wenn wir uns treffen. Es ist gar nicht so, dass er nicht zuhören würde oder mich nicht ausreden lassen würde, dass er nicht nett wäre oder immer nur von sich reden müsste. Nein, wir sind wahnsinnig herzlich und lustig und schnuffig miteinander. Aber er fragt nichts nach und eigeninitiativ schon gar nicht. Nicht nach Arbeitskram, dem Nachwuchs, den Irrungen und Wirrungen des Liebeslebens: Er fragt nicht. Ich kann ihn anrufen und nicht mehr ein noch aus wissen und er ist immer da. Mit offenem Ohr. Aber er stellt nie eine einzige Frage. Kenne Sie solche Leute?

Ich hab zwei Erklärungen dafür. Entweder er will einfach wirklich keinen Berichtsdruck machen und mir die Entscheidung überlassen, was ich wann wie erzählen will. Schließlich lässt er mich ja auch ausreden und alles. Also eine absolut defensive Philosophie, gibt es als Interviewtechnik übrigens auch, man stellt nicht noch eine Frage und noch eine, sondern lässt einfach mal eine Lücke, wenn der andere reden will, redet er da schon irgendwann rein in den Raum, den man dafür lässt. Oder aber, die zweite Erklärung, er interessiert sich einfach nicht für andere Menschen. Ohne das böswillig zu meinen oder ein Egomane zu sein. Einfach so. Wie ich mich nicht für Schrebergärten oder für Volleyball interessiere, interessiert er sich nicht für Menschen und tut im Gegensatz zu anderen auch gar nicht erst so.

Trotzdem hat er mich natürlich gerne und hat er wie jeder Mensch ein Bedürfnis nach Nähe und Vertrautheit, ohne sich aber wirklich mit den Issues des Anderen beschäftigen zu können oder zu wollen. Beide Erklärungen sind natürlich unbefriedigend.

Trotzdem sollte man immer gnädig und großherzig mit dem Gebaren anderer sein und nie vergessen, dass man selbst für die anderen, seine Umwelt, seine Liebsten auch oft eine Zumutung ist. Wahrscheinlich geht ihm meine Nachfragerei, mit der ich Interesse und Anteilnahme bekunden will, schon seit Jahren total auf den Senkel.