Grabsteine, im Hintergrund das Meer im Sonnenuntergang
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100 Sekunden Leben - Aufs Meer blicken und sterben

Vielen ist es unangenehm, mit den nahen Angehörigen über den Tod und über Begräbnisse zu reden. Aber was muss, dass muss. Denn es braucht Organisation im Vorfeld, findet unsere Kolumnistin Ebru Taşdemir.

Die Idee, einfach umzufallen und zu sterben, finde ich sehr schön. Plopp, und gut ist. Leider müssen dann aber, wie ich wieder jüngst aus dem Bekanntenkreis erfahren konnte, die Angehörigen, meistens die Kinder, sich um einen Wust aus Papierkram kümmern. Bankkonten wollen aufgelöst, der Totenschein will beantragt, Hab und Gut, falls vorhanden, klug verteilt werden. Sehr viel Arbeit ist das.

Weil ich weiß, dass mein Organisationstalent eher semioptimal ist, fange ich lieber jetzt schon damit an. Dachte ich. Aber bevor ich die Papiere ordne für meine Nachkommen, kümmere ich mich erst einmal um meine Eltern. Denn bei ihnen müsste ich auch noch in zwei Ländern, also Deutschland und der Türkei, alles regeln. Vor allem, da der Platz für muslimische Grabstätten in Berlin langsam knapp wird und erst jüngst der Berliner Senat versprach, etwa 2000 neue muslimische Grabstätten auf speziellen Grabfeldern entstehen zu lassen. Das könnte ich erzählen und mich dann Schritt für Schritt vorarbeiten.

Begräbnis mit Blick aufs Meer

 

Meine Eltern sind noch sehr fit und haben aber gar keine Lust, über den Tod zu reden. Deshalb verstehen Sie meine Ambition, Ordnung in ihre und meine Angelegenheiten zu bringen, nicht. "Baba, wo willst Du eigentlich begraben werden?", frage ich ihn direkt. Ich dachte, dass das Ernsthafte in meiner Stimme ihn dazu verleiten würde, jetzt nicht keinen Witz zu machen.

"Na, Du weißt doch", sagt er und lacht so dröhnend, als wäre ihm dieser Gag gerade erst eingefallen: "Oberhalb des Wasserbrunnens am Abhang, da wo man so einen schönen Ausblick auf das Meer hat. Dann kann ich immer aufs Meer schauen, wenn mir danach ist!" Aha, so lustig. Papa bringt dieses Bonmot schon seit mindestens 20 Jahren, vor allem, wenn wir an diesem einen besagten Wasserbrunnen mit dem Auto vorbeifahren. Meine Mutter seufzt.

Aber ich bin doch gerade auf der Hälfte meines Lebensweges" ruft mein betagter Vater und zitierte eine Gedichtzeile des türkischen Dichters Cahit Sitki Taranci: Yas 35, yolun yarisi eder, in etwa: 35, auf der Hälfte des Lebensweges. "Du, auf der Hälfte?", frage ich spitz und freue mich innerlich, dass er dem Tod doch so viel Komisches abgewinnen kann.

Begrabt uns einfach dort, wo wir sterben - fertig

 

"Nee, Baba, jetzt mal ernst, wir müssen uns darüber unterhalten", sagte ich, "das ist mir wichtig, deinen letzten Wunsch-Ruheort will ich wissen. Ich kann Dich doch nicht einfach am Berghang begraben wie einen Wellensittich im Garten!". Ich rede mich in Rage: "Wenn euch was passiert und ich nicht weiß, wo ihr begraben werden wollt, dann habe ich wirklich keine ruhige Minute mehr, weil ich dann immer denke, ihr wolltet hier gar nicht liegen." Meine Stimme zittert fast.

Mein Vater hört auf zu lachen und meine Mutter antwortet pragmatisch: "Ay kizim, ihr begrabt uns einfach dort, wo wir sterben. Fertig." Danke, denke ich, endlich mal eine Aussage. Das Thema scheint beendet. Denn beide überlegen, was es zum Abendessen geben könnte. Auch schön. Ob ihre Papiere so geordnet sind, dass ich im Fall der Fälle durchsteige, frage ich sie lieber beim nächsten Mal. Bis dahin ordne ich lieber meine eigene Unordnung und vertraue darauf, dass alles schon passen wird, so wie meine Eltern.