Junge Frau mit Sonnenbrille und Hut
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100 Sekunden Leben - Wie ich mal ein Deepfake war

Plötzlich Lehrerin: Das ist unserer Kolumnistin Doris Anselm neulich passiert. Unterricht hat sie nicht gegeben, sie lag einfach nur im Park in der Sonne. Jetzt muss sie die peinliche Situation auflösen, die aus der Verwechslung womöglich entsteht.

Liebe Frau Dings, falls Sie das hören: Es tut mir leid. Am Pfingstsonntag übte ich in einem Berliner Park eins meiner neueren Freiheitsrechte aus: Ich sonnte mich oben ohne. Dafür mit Riesenhut und -brille. Ja, manchmal ist mir mein Gesicht privater als mein Oberkörper. Ein Stück weiter spielte eine Gruppe Schülerinnen und Schüler halbherzig Fußball. Der Ball rollte auf meine Decke, ein Junge holte ihn zurück.

Danach erstarb das Spiel. Es wurde wild getuschelt, so auffällig, wie das nur Teenager können, die versuchen, unauffällig zu sein. Ich linste unterm Sonnenhut hervor, jawohl: das Thema war ich. Nun gehe ich davon aus, dass Berliner Schüler*innen schon alles gesehen haben, was der menschliche Körper so hergibt. Wenn nicht im echten Leben dieser oft bizarren Stadt, dann doch wohl im Internet. TikTok-Star bin ich auch nicht, was also war los? Ich spitzte die Ohren.

Zum Glück eskalierte die Debatte gerade, so dass ich hören konnte, wie ein Junge entschieden sagte: "Alder, niemals ist das Frau Dings, niemals", worauf andere energisch widersprachen. "Doch, das ist die voll!" Oje. Frau Dings, kombinierte ich, war garantiert die Englischlehrerin der Gruppe. Englisch oder Politik. Woher ich das weiß? Keine Ahnung, aber Mathelehrerinnen liegen in meinem Weltbild einfach nicht halbnackt im Park.

Jedenfalls hielt jetzt die halbe Klasse meine Brüste für die von Frau Dings. Ich war zu einer Art Deepfake geworden, bloß analog, dafür 3D. Oje. Frau Dings, falls Sie das hören: Am besten droppen Sie im Unterricht diese Woche so oft wie möglich die Info, sie wären über Pfingsten verreist gewesen. Es sei denn, Sie haben ebenfalls in einem Berliner Park ihre Freiheitsrechte ausgeübt und stehen da total drüber. In diesem Fall: Respect.