Zwei Betten in einem Krankenzimmer
IMAGO / Design Pics
Bild: IMAGO / Design Pics Download (mp3, 2 MB)

100 Sekunden Leben - Entwicklungsland Deutschland

Unser Kolumnist Thomas Hollmann hat mit Schweizer Freunden Urlaub gemacht – und dabei einen Kulturschock erlitten.

Wir hatten uns zum Radfahren auf Mallorca getroffen: Urs, Lu, Matthias und ich. Drei Schweizer und ein Berliner. Logisch, dass es da nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle Unterschiede gibt.

Als ich davon erzählte, dass in Berlin nicht nur Wahlen wiederholt werden müssen, sondern man mitunter ein halbes Jahr auf seinen neuen Personalausweis wartet, wollten mir die Züricher das nicht glauben. Die dachten, ich verarsche sie. Erst recht, als ich ihnen von dem Hochhaus berichtete, dass in den U-Bahnschacht abzusacken droht, obschon das noch gar nicht gebaut ist und Berlin früher mal mehr Genossenschaftswohnungen hatte als Zürich, ehe ein rot-roter Senat diese vielen, schönen Wohnungen verkloppt hat. Da changierte der Gesichtsausdruck meiner Zuhörer von ungläubig in ernsthaftes Entsetzen.

Das könnte eine neue Rolle für uns Berliner im Urlaub sein: Botschafter des dysfunktionalen Schreckens. Wir erzählen von zuhause und kriegen dafür ein Bier ausgegeben. Mir hat das jedenfalls geschmeckt.

Bis Lu von seinem Krankenhausaufenthalt erzählte. Er war auf der deutschen Seite des Bodensees von einem E-Bike-Fahrer abgeräumt worden, weshalb man ihn auch in ein deutsches Krankenhaus brachte. Am Bett habe er den Knopf für’s Hoch- und Runterfahren gesucht. Aber den Knopf gab es nicht. Die Krankenschwester musste ihn von Hand in die Höhe pumpen. Und der Arzt vermochte Lu ebenso wenig die Röntgenbilder auf dem Laptop zu zeigen, weil das Krankenhaus über keine Laptops verfügte. Was mich jetzt nicht verwundert. Lu und Urs und Matthias dagegen schon.

Und da habe ich gelernt: Die Schweizer Perspektive ist doch nochmal eine andere. Man kann auch Deutschland als eine Art Entwicklungsland betrachten – und nicht nur Berlin.