Ein Stapel Akten und Papiere ist auf einem Schreibtisch in einem Büro vor einem Regal mit Aktenordnern zu sehen.
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100 Sekunden Leben - Meine Kundin, die Behörde

Viele Ämter bezeichnen die Bürger inzwischen als "Kunden". Wie gemütliches Shopping fühlt sich der Kontakt zu Behörden trotzdem nur selten an. Doch was passiert, wenn das Verhältnis plötzlich umgekehrt ist? Unsere Kolumnistin Doris Anselm hat jetzt eine Behörde als Kundin. Das hat ihr ungeahnte Einblicke beschert.

Kennen Sie den Unterschied zwischen einer "jährlichen Planung" und einer "Jahresplanung"? Und würden Sie sagen, es macht etwas aus, ob eine Sache "bereits festgelegt" ist oder "vorgegeben"? Nein? Dann ist ja gut, ich nämlich auch nicht. Trotzdem spreche ich seit nunmehr einem Jahr den gleichen Text mal mit den einen und mal mit den anderen Worten.

Das kam so: Ich stehe in einer Sprecherdatei. Allerdings verleihe ich meine Stimme nicht an Werbung oder andere kommerzielle Zwecke, sondern vertone vor allem Erklärfilme und interne Schulungsvideos, oft für gemeinnützige oder öffentliche Einrichtungen. Darunter ist eine EU-Behörde.

Ungefähr alle zwei Monate meldet die sich über meine Agentur bei mir, damit ich das Voiceover für den immergleichen Schulungsfilm nochmal wieder anders einspreche. Mit völlig abstrusen Änderungen wie oben genannt. Meine Wut über diese Verschwendung von Steuergeldern kollidiert auf emotional irritierende Art mit meiner Freude darüber, dass ich natürlich für jeden Auftrag neu bezahlt werde. Ich bezahle mich also praktisch selbst.

Bei den subtilen literarischen Umbauten am Text, der mit jedem Mal verworrener wird, schleichen sich auch immer wieder Grammatikfehler ein. Dann bin ich jedes Mal in Versuchung, den Quatsch einfach so hinzusprechen, wie er dasteht, und auf den lukrativen Korrektur-Auftrag zu warten.

Aber ich will nicht so sein, wie ich mir manche dieser Baufirmen damals am BER vorstelle: "Nu jut, die wolln dit ohne Brandschutz, so steht dit hier, denn baunwa dit ooch ohne Brandschutz – erstma! Hä hä." Nein, ich biete stets kostenlos noch eine Variante an. Aber was ich aus alldem inzwischen gelernt habe: Eine Behörde als Kundin zu haben ist genauso irrwitzig wie Kundin einer Behörde zu sein.