Frau am Morgen nach dem Aufwachen
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100 Sekunden Leben - Hilfe, ich bin ein neuer Mensch

Achtung, Trommelwirbel: Das rbb24-Inforadio hat eine neue Kolumnistin: Doris Anselm. Wer jetzt kopfschüttelnd behauptet, der Name sei bekannt und Anselm doch schon lange hier im Dienst, der hat den Jahreswechsel verpasst. Denn unsere Autorin hat offenbar geschafft, wovon Andere nur träumen: Sie ist 2023 als völlig neuer Mensch aufgewacht. Bloß ganz geheuer ist ihr das nicht.

Als ich am Vormittag des ersten Januars zu mir kam, fand ich mich im Fitness-Studio wieder. Offenbar war ich stocknüchtern. Das Gefühl in meinem Bauch deutete darauf hin, dass ich etwa eine Stunde zuvor ein gesundes Frühstück verzehrt hatte. Plötzlich kam die Erinnerung mit voller Wucht zurück: Ja, anscheinend war ich gegen neun Uhr von alleine aufgewacht und hatte mir ein Müsli angerührt! Mein Gott.

Seit dem Neujahrsmorgen nun überfällt mich alle paar Stunden eine Gier nach Obstsalat, frischem Gemüse und Staubsaugen. Am zweiten Januar, als in Berlin so graues Wetter war, fand ich plötzlich, das sei doch ideal, um schonmal alle ärztlichen Vorsorgetermine für 2023 zu vereinbaren sowie mein Handy aufzuräumen. Hilfe! Das Gruseligste ist: Ich hatte keine guten Vorsätze gemacht. Regelrecht fatalistisch war ich auf den Jahreswechsel zugeschlurft, weil sich ja doch nie was ändert. Und jetzt das.

Inzwischen hab’ ich recherchiert, vor allem über die Silvesternacht, da muss es ja passiert sein mit meiner Wandlung zum Perfektions-Zombie. Wenn die Nachrichtenlage so stimmt, dann könnte es sein, dass ich Opfer einer kollektiven Dämonen-Austreibung geworden bin. Historisch diente ja die Böllerei mal dem Verscheuchen böser Geister mit bösen Geräuschen, was aber meist im Symbolischen steckenblieb. Doch diesmal ist an Silvester in Berlin viel passiert, was für mich wirklich das ultimativ Böse darstellt, zum Beispiel Angriffe auf Menschen, die Menschen retten. Nein, Danke. Die Gewalttäter sollten sich lieber selbst exorzieren. Im Gegenzug hätte ich jetzt gern meine harmlosen Faulheits-Dämönchen zurück. Bis Anfang Februar ist es nämlich sowieso immer viel zu voll im Fitness-Studio.