Menschen auf der Berliner Mauer am 9. November 1989
Bild: IMAGO / Peter Homann

100 Sekunden Leben - Nicht schon wieder Schicksalstag

Der 9. November wird oft als "Schicksalstag der Deutschen" bezeichnet. Auffällig viele historische Ereignisse, ob grausig wie die Pogromnacht 1938 oder hoffnungsvoll wie der Mauerfall 1989, tragen dieses Datum. Kein Wunder, dass Inforadio-Kolumnistin Doris Anselm schon beim Aufwachen ganz nervös war.

Es kann nicht gesund sein, wenn man gleichzeitig tiefe Scham empfindet, sich wahnsinnig freut und leicht besorgt ist. Deshalb versuche ich jedes Jahr am 9. November, mein politisches Bewusstsein den Tag lang komplett runterzufahren, sonst krieg ich Gedenk-Overload. Klappt nur leider nie so richtig, denn das Datum hat historische Adipositas – man kommt an diesem fetten Tag einfach nicht vorbei in Deutschland.

Dieses Jahr probiere ich deshalb eine neue Strategie aus: Ich hab mich hingesetzt und mal herausgesucht, was sonst noch los war in der Welt an diesem Datum. Vielleicht kann ich so zumindest meine Wahrnehmung des Tags quasi verdünnen.

Leider sind die meisten aufgelisteten Ereignisse mir wiederum allzu egal, so dass sie nicht weiterhelfen. "9. November 1313: In der Schlacht von Gammelsdorf setzt sich Ludwig der Bayer gegen seinen Vetter Friedrich den Schönen durch und erhält damit die Vormundschaft über die jugendlichen Herzöge von Niederbayern." Uff, naja. Wenn das der eskalierte Adoptionsstreit zweier CSU-Politiker von heute wäre, könnte mich die Sache ja noch interessieren, aber so? Nee. Weitersuchen.

Aha! 9. November 1843: In Hamburg wird das Thalia Theater gegründet. Schön. Nicht so schön: 1888 tötet Jack The Ripper ein weiteres Opfer. Schnell weiter. 1953: Die erste Fußgängerzone Deutschlands wird eröffnet (in Kassel). '67: Erstausgabe des Musikmagazins "Rolling Stone". Ach, die Stones könnte ich auch mal wieder hören. Vielleicht heute abend, wenn nichts besonders anliegt? Was ist heute eigentlich für ein Tag? Ach ja: Mittwoch. Ein ganz normaler Mittwoch.