Ein männlich gelesener Mensch mit blauem Lidschatten und goldener Jacke schaut verträumt (Bild: IMAGO / YAY Images)
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100 Sekunden Leben - Rollenspiele

Kolumnist Hendrik Schröder war am Wochenende zusammen mit sehr jungen Leuten auf einer Musikveranstaltung. Und war erstaunt, wie leichtfüßig da mit Geschlechterrollen umgegangen wurde.

Am Wochenende war ich auf einer Art Mini Musik Messe in der norddeutschen Provinz. Es gab ein paar Workshops, Panel, gGttogether, abends spielten einige Bands in zwei Locations. Alles wirklich in ganz klein.

Ich kannte ein paar Leute, die da mitmachten und die hatten mich eingeladen, also ging ich hin. Und war einerseits erstaunt, dass da größtenteils sehr junge Leute waren, so Anfang bis Mitte 20. Und andererseits, wie leichtfüßig die mit Geschlechterrollen, Gender und so etwas umgingen.

Ein bisschen queer sein ist gerade ziemlich hip in bestimmten Szenen und das nervt manche auch schon wieder, weil man das Gefühl hat, das ist einfach Mode und gar nicht ernst gemeint. Auf der anderen Seite nehmen es dann wiederum andere so ernst, dass man vor lauter politischer Korrektheit und dem Bemühen darum, bloß alles richtig zu machen und bei anderen drauf zu zeigen, was sie noch alles falsch machen und Cancel Culture und so weiter, jede Lockerheit verliert.

An diesem Abend in der Provinz war das jedoch völlig anders. Da standen Leute auf der Bühne, die sich weder als Mann, noch als Frau definierten und rappten lustige Quatsch Texte, vor der Bühne tanzten junge Männer, die riesige leuchtende Ringe im Ohr trugen und Frauen in sackartigen Kleidern, die sich jedem klassischen Schönheitsideal verweigerten. Neben Leuten, die sagen wir "ganz gewöhnlich" aussahen.

Und alle hatten einen unglaublichen Spaß. Manche spielten vielleicht nur ein bisschen mit ihrem Look, andere waren ernsthaft auf der Suche nach einer Identität, die sich eben außerhalb des gewohnten binären Mann-Frau-Systems bewegt und ich war total beeindruckt von der Selbstverständlichkeit, mit der diese jungen Leute damit umgingen.

Und ich dachte daran, wie es wohl gewesen wäre, wenn es dieses Angebot in meiner Jugend auch schon so gegeben hätte: Hey, Du kannst auch so oder so sein und es ist ok, Du musst das auch nicht erklären oder rechtfertigen. Ich persönlich wäre wahrscheinlich ungefähr derselbe geworden, aber manch andere hätten vielleicht viel leichter Teile ihrer Persönlichkeit entfalten können, für die damals noch in der Gesellschaft und im Leben gar kein Platz vorgesehen war.

Jedenfalls war ich nach dem fröhlichen und so ganz und gar unverklemmten Abend noch überzeugter davon, dass das Aufbrechen gesellschaftlicher Normen am Ende niemandem was wegnimmt und die Welt einfach nur bunter und spannender macht. Auch für die, die mit den herkömmlichen Rollen eigentlich wunderbar klarkommen.