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100 Sekunden Leben - Nehmen wir Bildung persönlich!

Der 5. Oktober ist Welt-Lehrer-Tag. Da hat unsere Kolumnistin Doris Anselm überlegt, ob sie etwas zu den maroden Berliner Schulen sagen soll oder zum Thema Verbeamtung. Aber dann hat sie sich doch für etwas anderes entschieden.

Meine Grundschullehrerin Frau R. hat damals in "Sachkunde" eine ungewöhnliche Stunde über Entwicklungshilfe gemacht: Sie bat die Eltern, uns an dem Tag mit leerem Bauch zur Schule zu schicken. Zynismus beiseite: Damals war das kein Normalfall. Zum Glück lag Sachkunde in der ersten Stunde. Wir haben gemeinsam gefrühstückt und über die Zusammenhänge von Armut und Bildung geredet.

Mit 16 war ich Gastschülerin an einer US-Highschool. In der Doppelstunde rollte unser Chemielehrer, Mr. J., den Fernseher rein, und wir guckten stinkfaul den Science-Fiction-Film "Gattaca" über genetisch optimierte Menschen. In der nächsten Stunde ging es um Moleküle, und Mr J. benutzte unsere DNA als Beispiel. Eigentlich zu kompliziert, aber die Sache hatte für uns plötzlich Bedeutung.

Als ich wieder in Deutschland war, gab uns Herr W. in Sozialkunde ein paar öde juristische Texte zum Thema Sterbehilfe auf. Keiner las sie zu Ende. Da bot Herr W. uns an, die Sache einfach selbst zu regeln, also ein Gesetz zu schreiben, gern in Alltagssprache. Das beste und missbrauchs-sicherste sollte eine Tafel Schokolade gewinnen. In der nächsten Stunde zerpflückten wir schokohungrig gegenseitig unsere Gesetze und kamen ganz nebenbei auf alle Knackpunkte des Themas zu sprechen.

Warum erzähl ich das alles? Die Schul-Debatte klingt oft so, als ginge es um eine Art Abfüll-Anlage, die hier und da leckt und knirscht, und deren Reparatur nicht recht voran geht. Doch um eine Sache wirklich wichtig zu nehmen, muss man sie persönlich nehmen. Das ist die Strategie von guten Lehrern (siehe oben). Vielleicht denken die politisch Verantwortlichen ja heute, am Weltlehrertag, kurz mal an die talentiertesten, engagiertesten Lehrer*innen, die sie selbst hatten. Und mit denen im Kopf dann wieder an Budgets, Einstellungspolitik und Schulsanierungen.