Interview - Politologe über "fundamentalen Tiefschlag" gegen Merz
CDU-Chef Friedrich Merz muss auf dem Weg ins Kanzleramt einen politischen Wirkungstreffer hinnehmen: Der 69-Jährige scheitert bei der Wahl im Bundestag im ersten Wahlgang. Der Politologe Albrecht von Lucke hat eine Theorie, wie es dazu kommen konnte.
Dass ein designierter Kanzler in einem Wahlgang im Bundestag scheitert - das gab es noch nie. Friedrich Merz von der CDU ist es nun passiert. Dem Politologen Albrecht von Lucke zufolge sollte man den Vorgang als potenzielles Misstrauensvotum betrachten -sowohl gegen den eigentlich designierten Kanzler als auch gegen seinen designierten Vize Lars Klingbeil von der SPD, der für den Koalitionsvertrag mitverantwortlich sei.
"Das ist der Charakter dieser Abstimmungsniederlage", sagte von Lucke, der kurz vor dem zweiten Wahlgang im Interview im rbb24 Inforadio zu hören war. "Und das ist schon ein fundamentaler Tiefschlag, denn das hat es in der 75-jährigen Geschichte des Bundestages noch nicht gegeben." Im zweiten Wahlgang war Merz schließlich erfolgreich und nahm die Wahl an.
"Plausibelste Erklärung" für Scheitern
Trotz der historischen Niederlage im 1. Wahlgang - und bekanntem Unmut sowohl in der SPD als auch in der Union mit dem ausgehandelten Koalitionsvertrag und Personalentscheidungen - hielt es von Lucke in seinen Ausführungen trotzdem für die "plausibelste Erklärung", dass Einzelne Merz einen Denkzettel haben verpassen wollen, ohne mit diesem Ergebnis zu rechnen. "Erst die Summierung des einzelnen Protestes hat dann zur maximalen Schädigung geführt", so von Lucke, der Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" ist.
Von Lucke rechnete mit einer Kanzlerwahl im zweiten Wahlgang - zu der es dann auch kam. Wenn es ein zweites Mal nicht klappen würde, wäre das "eine Katastrophe", hatte von Lucke noch gesagt. Es wäre Ausdruck dafür, dass eine große Zahl von Abgeordneten - möglicherweise auch in Teilen der Union - etwas anderes im Schilde führen würden.