Israelische Demonstranten versammeln sich vor der Knesset um gegen Premierminister Benjamin Netanyahu und für eine sofortige Freilassung der israelischen Geiseln zu protestieren (Bild: picture alliance/Sipa USA/Matan Golan)
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Interview - Zimmermann: Israelische Regierung hat doppelt versagt

Der Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und dem israelischen Militär dauert nun fast ein halbes Jahr. Inzwischen fordern immer mehr Menschen auf internationaler Ebene und in Israel einen Waffenstillstand. Der Historiker Moshe Zimmermann kritisiert Israels Regierung scharf: Sie habe von Beginn an die falsche Taktik gewählt.

Israel hat am Freitagmorgen bekanntgegeben, dass der Grenzübergang Erez und der Hafen von Aschdod vorübergehend für Hilfslieferungen geöffnet werden. Vorausgegangen war ein Telefonat von US-Präsident Joe Biden mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu. "Der Druck aus Amerika ist zu heftig geworden, sogar für diese Regierung, und deswegen hat man nachgegeben", sagt Moshe Zimmerman, Professor für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Zimmermann: Israels Regierung hat Geiseln nicht befreit

 

Schon ein halbes Jahr dauert der Krieg im Nahen Osten, ausgelöst durch Pogrome der Terrormiliz Hamas am 7. Oktober. Israel habe jedoch von Beginn an eine falsche Taktik angewendet, kritisiert Zimmermann. Stattdessen hätte der Krieg aus Sicht des Historikers so kurz wie möglich gehalten werden müssen. "Die Aufgabe Nummer Eins war von Beginn an, die Geiseln zu befreien", sagt Zimmermann. Die israelische Regierung habe jedoch eine andere Priorität gesetzt, "nämlich Rache an Hamas, Rache an den Palästinensern, oder die Zerschlagung der Hamas".

Israels Regierung habe doppelt versagt, meint Zimmermann: Einmal am 7.Oktober, weil sie die eigene Bevölkerung nicht vor dem Angriff der Hamas beschützt habe. "Und sie hat zum zweiten Mal versagt, weil sie es nicht geschafft hat, die Geiseln - mehr als 100 Menschen, die jetzt im Gazastreifen sind - zu befreien."

Historiker: Netanjahu nutzt Krieg für eigene Ziele

 

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wirft Zimmermann vor, nur am eigenen Machterhalt interessiert zu sein. "Er benutzt diesen Krieg, um politisch zu überleben." Auch die Koalitionspartner seien nur auf ihre eigenen Vorteile bedacht. "Und da hat man eigentlich die wichtigste Aufgabe vernachlässigt: Israel zu beschützen", sagt Zimmermann.

Die Regierung habe die Zivilbevölkerung weder vor der Attacke am 7. Oktober beschützt, noch habe sie dafür gesorgt, dass sie in Frieden leben könne. Dass die Menschen nun seit sechs Monaten im Krieg lebten, könne man nur als Versagen bezeichnen.

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