Die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts bei der Urteilsverkündung
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Interview - Wirtschaftsweise Grimm: Urteil stellt Politik vor massive Herausforderungen

Die Umschichtung nicht benötigter Corona-Kredite in einen Sonderfonds für Klimaschutzmaßnahmen ist unzulässig. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Veronika Grimm aus dem Sachverständigenrat Wirtschaft sagt, die Regierung sei durch das Urteil jetzt in einer problematischen Situation.

Um 60 Milliarden Euro geht es bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die hatte die Bundesregierung umgewidmet: Die Kredite wurden nicht mehr für die Corona-Pandemie benötigt und sollten in einen Klimafonds fließen. Doch so geht es nicht, haben die Karlsruher Richterinnen und Richter am Mittwoch entschieden. Die Ampel-Koalition habe damit gegen die Regelungen zur Schuldenbremse verstoßen, so die Begründung. Der Nachtragshaushalt sei daher nichtig.

"Das Urteil stellt die Politik jetzt schon vor massive Herausforderungen mit Blick auf diesen Haushalt", sagt Veronika Grimm aus dem Sachverständigenrat Wirtschaft, der Minister Robert Habeck (Grüne) berät. Die Regierung sei in einer problematischen Situation, da die geplanten 60 Milliarden Euro für den Klimaschutz nun fehlten.

Wirtschaftsweise Grimm: Aussetzung der Schuldenbremse könnte wieder vor Gericht landen

 

Es sei noch nicht klar, in welche Richtung sich jetzt die Diskussion entwickeln werde, so die Wirtschaftsweise. Es könnte sein, dass die Schuldenbremse noch einmal ausgesetzt werden soll. "Ob das aber funktioniert und ob auch das mit der Begründung einer langfristigen Transformationsaufgabe wie dem Klimaschutz funktioniert, das ist erst mal auch nicht klar, das könnte dann wieder vor dem Verfassungsgericht landen."

Eine andere Möglichkeit sei, die Schuldenbremse per Beschluss des Bundestags großzügiger auszulegen. Da gebe es aber Skepsis in der FDP. Möglich sei auch, dass die Regierung jetzt priorisieren und geplante Ausgaben für den Klimaschutz einsparen muss. "Aber das ist natürlich jetzt eine sehr kritische Diskussion, die da stattfinden muss", sagt Grimm.

Hintergrund

Bundes-Sondervermögen gekippt - Reaktionen aus der Landespolitik

Die Umwidmung von 60 Milliarden Euro Corona-Krediten zugunsten des Energie- und Klimafonds der Bundesregierung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Auf das weitreichende Urteil reagierte die Landespolitik unterschiedlich.

Eine Sprecherin der Berliner Finanzverwaltung erklärte, bei der Entscheidung der Karlsruher Richter gehe es um "spezifische Sachverhalte", die sich auf den "konkreten Fall" des Sondervermögens des Bundes bezögen. Was das Bundesverfassungsgericht formuliert habe, lasse sich so nicht auf das vom Senat geplante Berliner Sondervermögen anwenden. So werden beim Berliner Sondervermögen anders als im Bund keine Mittel umgewidmet. Es gebe auch die nicht die von den Richtern beanstandete rückwirkende Änderung des Haushaltsplans. Der Senat habe sein geplantes Sondervermögen zudem mit einer mehrfachen Begründung aus Klimanotlage, einer Schocksituation durch den Ukraine-Krieg und der besonderen Finanzschwäche Berlins versehen.

Die Vorsitzende der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus Kristin Brinker sprach dagegen von einem "Warnschuss" für das Berliner Vorhaben. Brinker verwies darauf, dass die Karlsruher Richter einen engen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Krediten und der Bewältigung einer Notlage mithilfe dieses Geldes gefordert hätten. Außerdem müssten Maßnahmen, die finanziert werden, geeignet sein, die Krise abzuwenden. Beides ist nach Auffassung der AfD-Fraktionschefin auch in Berlin nicht gegeben. Das vom schwarz-roten Senat geplante Sondervermögen sei "mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig", so Brinkers Bewertung.

Der langjährige Haushaltsexperte der Linksfraktion Steffen Zillich zeigte sich dagegen zuversichtlich, dass die Berliner Konstruktion des Sondervermögens "trägt". Gegenüber dem rbb sagte er, dass das 5-Milliarden-Paket des Senats anders konzipiert sei als die 60 Milliarden Euro schwere Kreditermächtigung des Bundes. Zillich betonte aber auch, dass das Karlsruher Urteil geprüft werden müsse, um das Berliner Sondervermögen rechtssicher zu gestalten. Entscheidend sei, dass die Begründung für die Notlage als Voraussetzung für das 5-Milliarden-Euro schwere Paket sehr genau ausgeführt werde

Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sprach angesichts des Karlsruher Urteils von einem "Schlamassel", verursacht durch das "starrsinnige Festhalten an der Schuldenbremse". Kiziltepe erneuerte ihre Forderung, die Schuldenbremse aufzuweichen. Zu möglichen Auswirkungen des Karlsruher Urteils auf Berlin äußerte sich die SPD-Politikerin nicht.

Das Brandenburgische Finanzministerium rechnet nicht mit Auswirkungen auf den Landeshaushalt. Das teilte ein Sprecher des Ministeriums dem rbb auf Nachfrage mit. Demnach seien "konkrete Programme und Maßnahmen im Doppelhaushalt 2023/2024 des Landes Brandenburg, die durch Mittel des Klima- und Transformationsfonds (KTF) kofinanziert werden", nicht bekannt. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass "bereits zulasten des KTF eingegangene Verpflichtungen nunmehr anderweitig durch den Haushaltsgesetzgeber kompensiert werden müssen", so der Ministeriumssprecher.

Um die Auswirkungen der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abschließend bewerten zu können, bleibe aber "abzuwarten, welche Vorschläge die Bundesregierung für den Ausgleich der Kreditaufnahme von 60 Milliarden Euro vorlege und ob und in welcher Weise davon gegebenenfalls auch Länder und Kommunen betroffen sein werden." Das bedeutet, dass mögliche Ausgabenkürzungen des Bundes infolge des Verfassungsgerichtsurteils womöglich doch Auswirkungen auf die Länder haben können.

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dpa

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Am Mittwoch wird ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse erwartet. Es geht um 60 Milliarden Euro für die Bewältigung der Corona-Krise, die in einen Sonderfonds für den Klimaschutz verschoben wurden. Der Wirtschaftsprofessor Lars Feld erhofft sich von dem Urteil mehr Klarheit über die Ausnahmeregel zur Schuldenbremse.